Soooo ein reines, sauberes Gewissen

Kinderpornos drehen ist besser als dealen. Davon ist Gianluca überzeugt. Klar muß man die Gören einsperren, aber nicht, weil sie nicht mehr vögeln wollen, sondern weil Kinder immer abhauen  ■ Aus Neapel Werner Raith

Neapel ist für Gianluca auch längst nicht mehr, was es einmal war zu Zeiten des legendären Lucky Luciano: „Der wußte, wie man Geschäfte macht, und an den hat sich auch keiner rangetraut. Der hat die Prostitution professionalisiert, den Rauschgifthandel damit verbunden – eine ideale Mischung, und er wußte auch, wie man sich vor Zugriffen schützt.“ Ganz anders heute: „Da kommen dir nicht nur die Zeitungen mit moralinsauren Argumenten daher, sondern auch die eigenen Leute.“ Gianluca weiß, wovon er spricht: Sein rechter Arm ist gebrochen, drei Finger und vier Rippen dazu, ein Auge total verschwollen – Folge einer Strafaktion von Mafiosi, „nur weil ich diese kleinen Schweinereien verhökert habe“. Die „kleinen Schweinereien“ sind Pornokassetten, die in Sizilien mit Kindern, meist albanischer oder jugoslawischer Herkunft, aufgenommen und in ganz Italien vertrieben worden waren – so auch hier in Secondigliano. Der Skandal hatte im Juni für einige Tage Aufsehen erregt.

Ist doch ein Job wie jeder andere, vielleicht besser.

Das Pech für Gianluca und eine Reihe anderer Händler war dabei weniger, daß die Polizei hinter die Sache kam, sondern „daß uns da so ein palermitanisches Gör aus einer besseren Familie druntergerutscht war“ – und ausgerechnet aus diesem Porno hatte eine Zeitung nach einer Polizeirazzia ein Foto veröffentlicht. Der Vater hatte seine Tochter wiedererkannt. Und, erneutes Pech, bei ihm handelte es sich um den Schwager eines Mafiabosses.

Daß sizilianische Mafiosi der Prostitution als solcher schon immer eher ablehnend gegenüberstehen, ist bekannt, die Einstellung wird sogar beim Blutschwur – der die Aufnahme in eine Mafia-Familie besiegelt – ausdrücklich festgeklopft. „War ja auch der Grund dafür, warum Lucky Luciano damals, obwohl er aus Sizilien stammte, nach seiner Übersiedlung aus den USA nach Neapel gegangen ist – der war aus Amerika eben schon lange anderes gewohnt, die Sizilianer hielt er für Hinterwäldler.“

Ob sich da inzwischen manches geändert hat, ist angesichts der Skandale der letzten Zeit mit in Sizilien hergestellten Pornokassetten nicht auszuschließen. Doch im Falle Gianluca ging es nicht um irgendwelche Pornos, sondern um eine Verwandte von Mafiosi. Der Boss schickte jedenfalls seine Leute aus, verlangte von einem mit seinem Clan operierenden neapolitanischen Gangster eine Bestrafungsaktion, und so wurden Händler, die gerade diesen Film vorrätig hatten, heftig verprügelt. Dennoch wird Gianluca den Verdacht nicht los, daß „die mich weniger aus moralischen Gründen zusammengeschlagen habe, sondern weil sie vermuten, daß wir das große Geld machen und sie leer ausgehen.“ An Vergeltung ist nicht zu denken – „die legen mich glatt um“. Also hat er Unterwerfung gelobt.

Bei alledem könnte sich Gianluca in den Hintern beißen, daß „die in Bagheria“ – wo die Aufnahmen stattfanden – „nicht besser aufgepaßt haben. Aber gerade dieses Gör war besonders gut bei allen Varianten. Von wegen gezwungen!“ Das hat er den Schlägern auch klarzumachen versucht, damit aber nur noch mehr Prügel ausgelöst.

Gianluca leidet deutlich, nimmt immer wieder Schmerztabletten, aber er versteht noch immer nicht, warum ihm nun alle ans Leder wollen – der Mafioso, die Polizei, sogar die eigene Frau. „Ist doch ein Job wie jeder andere auch, sowas herzustellen. Und vielleicht besser als viele andere, oder meinst du vielleicht, daß die Kinder im bosnischen Krieg besser aufgehoben waren? Bei uns werden sie jedenfalls gut verpflegt...“ Naja – sie sind den ganzen Tag eingeschlossen. „Klar, die würden abhauen, aber nicht, weil sie nicht mehr vögeln wollen, sondern weil Kinder immer abhauen.“ Die jüngsten Mädchen waren sieben, Jungen sechs Jahre, die da beim Oralverkehr gefilmt wurden, elfjährige Mädchen mußten bereits vollen Geschlechtsverkehr ertragen. Freiwillig?

Gianlucas Bruder kommt zu Besuch ins Krankenhaus; er muß sofort bezeugen, daß „das alles gar nicht so schlimm ist, wie die Zeitungen schreiben“. Am Anfang, räumt er ein, „muß man schon etwas nachhelfen, aber schlagen muß man sie überhaupt nicht“, sagt er und poliert mit dem Ärmel einen Fliegendreck von seinem Handy weg, „macht ja auch Spaß, sowas, oder? Ist doch menschlich?“ Im Hintergrund des Krankenzimmers räuspert sich der Polizeibeamte, der Gianluca vor weiteren Übergriffen schützen und ihn wahrscheinlich zugleich am möglichen Abhauen hindern soll (obwohl es keinen Haftbefehl gegen ihn gibt, da er den Pornohandel sofort gestanden und seine Kassetten ausgeliefert hat): „Wie wäre es denn, wenn eine deiner zwei Töchter zu so etwas gezwungen würde?“

Wenn wir nicht produzieren, tun's andere.

Gianluca wackelt etwas mit dem Kopf, hebt die Schultern, bemerkt aber dann den Verdacht, der da aufkommt und schiebt die Hände abwehrend nach vorne: „Nein, gehen beide weder auf den Strich noch kommen sie in solchen Aufnahmen vor.“ Daß er zu Hause auch mal „Probeaufnahmen“ gemacht hat, will er nicht ausschließen, „aber nur, um zu sehen, wie bestimmte Stellungen wirken könnten, die ich den Produzenten in Bagheria empfehlen wollte.“ Alles in allem rechnet er es sich selbst hoch an, daß er derzeit mit Pornos handelt – früher hat er Heroin verkauft, „und das ist doch tödliche Ware, oder?“ Er zieht aus dem Nachttisch seinen Geldbeutel heraus und zeigt ein Foto: „Schau, auch ich habe eine Familie, das ist sie, drei tolle Söhne! Was?“ Die Töchter sind auf dem Foto halb verdeckt, die eine durch den Ältesten, der einen Baseballschläger schwingt, die andere durch einen unappetitlichen Mastino-Hund. Gianluca erzählt nur von den Jungs.

Dann kommt er wieder auf das Thema zurück: „Jedes Jahr gehen in Italien an die fünf Millionen Pornokassetten über den Tisch, harte meine ich natürlich damit, und gut ein Drittel davon sind Aufnahmen mit Kindern oder Jugendlichen. Da regelt eben die Nachfrage das Angebot, und entsprechend wird das hergestellt. Produzieren nicht wir, so tun's andere, vielleicht sogar mit denselben Kindern, und vielleicht sind die viel härter.“ Natürlich weiß er, was das für eine windige Begründung ist; der Polizist wendet sich angewidert ab und geht vor die Tür: „Mir rutscht regelrecht die Pistole zwischen die Finger“, sagt er.

Alfredo, Gianlucas Bruder, bemerkt den weiteren Klärungsbedarf: „Ihr habt ja alle sooo ein reines Gewissen“, geht er in die Offensive, „aber sei ehrlich, gefällt dir eine schön aufgenommene Menage à trois mit einer Zwölfjährigen, bei der der Busen gerade mal eben rauskommt, nicht auch ganz gut? Vielleicht traust du sie dir nicht zu kaufen, aber wenn sie dir ins Haus fallen würde... Oder?“ Er kann sich nicht vorstellen, daß man dabei Ekel empfinden könnte, Mitleid; daß einem das Messer in der Tasche aufgehen könnte, wenn man an die Kinder denkt...

„Ja, für euch ist alles einfach. Ihr habt Geld, schickt eure Töchter auf behütende Schulen, bringt ihnen bei, wie man sich verkauft, ohne sich wehzutun, und ihr geht selber in den Puff, wenn's euch juckt. Haste aber da mal nachgefragt, wie die Nutten dort zu ihrem Job gekommen sind, wieviele von denen erstmal als Kinder oder blutjunge Mädchen vergewaltigt wurden, und wie oft?“ Der Polizist, zurück mit einer großen Colaflasche, gießt uns vieren ein: „Stell dir vor, ich war noch nie bei einer Nutte.“ Gianluca und Alfredo sehen zuerst einander, dann mich an, dann lachen sie lauthals los.

Alfredo ist ein Meister der Ideologisierung; Gianluca sieht ihn dankbar an – Zeichen möglicherweise, daß er selbst seiner Sache auch nicht immer so ganz sicher ist. Prompt verpatzt er seinem Bruder auch die Pointe seiner Rechtfertigungssuada noch: „Im Grunde, wer fragt schon nach diesen Albanerinnen und Bosnierinnen, eh? Immondizia dal Terzo Mondo, no?, Dreck aus der Dritten Welt.“ Den Eindruck will Alfredo aber nicht so stehenlassen: „Nein, wir nutzen sie nicht aus, weil sie Ausländer sind. Wir sind keine Rassisten. Aber ob du's glaubst oder nicht: Diese Gören aus Albanien sind im Bett besser als alle anderen. Vielleicht haben sie's schon zu Hause gelernt?“ Die Perfidie wird ihm offenbar nicht klar, selbst beim Nachhaken wird er nicht unsicher: „Dann sind sie halt Naturbegabungen.“ Alles kann er sich denken, nur nicht, daß sich die Kinder vergewaltigt, erniedrigt, verletzt fühlen – und daß viele von ihnen lebenslang Schäden davontragen. Drei der in Palermo gefundenen Mädchen haben inzwischen Selbstmordversuche unternommen, in Neapel brachte sich ein Mädchen tatsächlich um. Nein, Gewalt werde ihnen nicht angetan, „jedenfalls nicht mehr als bei einer ganz gewöhnlichen Kindererziehung, wo's ja auch ab und zu kracht“. Nicht zu klären die Frage, ob er das selbst glaubt oder sich das so massiv einredet, daß kaum mehr ein Unterschied zum wirklichen Glauben ist – oder ob er ein begnadeter Schauspieler ist. Jedenfalls dreht er jeden Vorhalt flugs zum Entlastungsmoment um.

Erst nach längerer Diskussion läßt er sich nochmal auf die Frage des „Abschaums aus dem Ausland“ zurücklenken. „Natürlich spielt auch eine Rolle, daß die Öffentlichkeit bei denen etwas weniger wild reagiert, wenn's rauskommt“ – tatsächlich war der Skandal um die vergewaltigten Kinder nach den ersten Ermittlungen in Sizilien schnell wieder von den Titelseiten verschwunden.

Die Gören aus Albanien sind am besten im Bett.

Wie es nun weitergeht? Gianluca hebt die Schultern, Alfredo knurrt ein „Si vedra“, wird man sehen. „Die treiben einen am Ende in den Heroinhandel zurück“, knurrt er, mit einem Blick, der so vorwurfsvoll ist, als hätte die böse Umwelt aus einem menschenliebenden Zuckerhändler einen Waffenschieber zu machen versucht. Dann steht er auf, greift in seine Tasche: „Da, das ist eine der letzten Kassetten, die ich noch gerettet habe. Willst du sie? Ich meine, nur so, damit du dir selbst ein Bild machen kannst...“

Er hat die Rechnung nicht mit dem Polizisten gemacht – der nimmt ihm das Corpus delicti gnadenlos ab, verstaut es in seiner Koppeltasche. Alfredo mißversteht das: „Auch gut, aber leih sie ihm halt“, er winkt mit dem Kopf in meine Richtung. Erst dann bemerkt er, daß der Polizist seinen Dienstblock zückt und ein Protokoll anfertigt. Als Gianluca zwei Wochen später das Krankenhaus wieder verlassen kann, holt ihn die Polizei ab. Er wird sich, zusammen mit seinem Bruder und einem Dutzend anderer Angeklagter, wegen „Beihilfe zur Unterjochung von Menschen zu Sklaven“ verantworten müssen, ein Artikel, der in Italien noch immer Gültigkeit hat. Wie man sieht, nicht ohne Grund.