■ Nebensachen aus Brüssel
: Hauptstadt der Bruchbuden

Eine neue Wohnung zu suchen, kann in Brüssel richtig Spaß machen. Wo sonst gibt es noch freundliche Vermieter, die einen auf Knien anflehen, doch bitte ihre zwei Zimmer, Küche, Bad zu bewohnen. Einer hat mir von sich aus angeboten, mit der Miete etwas nachzugeben, ein anderer fragte, ob er mir einen neuen Kühlschrank in die Küche stellen dürfe – wenn ich nur bereit wäre einzuziehen.

Man sollte sich die Freude nicht durch eine vorschnelle Unterschrift verderben. Nur Anfänger fallen auf den alten Trick herein, den auch einige Vermieter in Brüssel kennen: Man müsse sich schnell entscheiden, es gäbe da noch einen anderen Bewerber. Das muß nicht gelogen sein, aber der ist längst ein paar Häuser weiter und kommt wahrscheinlich nie wieder zurück. Denn in derselben Straße stehen noch ein paar Wohnungen leer, die von ihren Besitzern angepriesen werden wollen. In manchen Vierteln hängt an jedem fünften Haus der typische, orangerote Zettel: Te huir/ louer/ zu vermieten.

Am einfachsten ist es, eine Gegend auszuwählen, in der man leben möchte, und dann bei einem Spaziergang die Nummern von den orangenen Zetteln abzuschreiben. In netteren Vierteln mit kleinerem Angebot empfiehlt es sich, den Postboten zu fragen, der kennt sich aus und freut sich über jeden Plausch. Der Besitzer eines Krämerladens hat mich sogar eine Viertelstunde im Auto herumkutschiert, um mir leerstehende Wohnungen mit Garten zu zeigen.

Nach einem kurzen Anruf bei den Vermietern kann man sich noch am selben Abend die ausgewählten Wohnungen genauer ansehen. Das ist allerdings bitter nötig. Brüssel ist die unangefochtene europäische Hauptstadt der Bruchbuden. Einmal wurde mir eine Wohnung angeboten, bei der gerade erst die Außentoilette abgeschafft worden war. Aus praktischen Gründen hatten die Handwerker die neue Toilette dorthin gebaut, wo Wasser- und Abwasserleitungen am nächsten lagen – und das war leider in der Küche zwischen Herd und Spüle. Ein Plastikvorhang sollte die Intimität sichern. Die Miete wäre nicht besonders hoch gewesen.

Vor allem die Innenstadt von Brüssel ist nicht sehr wohnlich. In den sechziger Jahren träumten die Stadtväter davon, Brüssel um die europäischen Institutionen herum zur reinen Verwaltungsstadt zu machen, weil das keinen Dreck macht und Gewerbesteuer bringt. Also luden sie Investoren ein, an allen schönen Plätzen viereckige Bürohäuser zu bauen und frästen ein Netz von sechsspurigen Autostraßen durch die Stadt. Die Bewohner sollten ins Umland ziehen – und viele haben das auch getan.

Geblieben ist ein zusammengewürfelter Kern aus heruntergekommenen Bürgerhäusern aus den letzten Jahrhunderten und häßlichen Funktionalbauten. Seit einiger Zeit nun versucht die Stadtverwaltung, die Brüsseler mit allerlei Prämien und Hilfestellungen zur Rückkehr in die Innenstadt zu überreden, um den Stadtkern wieder zu beleben. Aber das kann Jahre dauern, und solange wollten wir nicht mehr warten. Unsere Tochter soll das Radfahren nicht zwischen Abbruchhäusern auf sechsspurigen Straßenschluchten lernen.

Nach drei Jahren im Brüsseler Zentrum sind wir jetzt in eine freundlichere Gegend am Stadtrand gezogen. Der Krämerladen, dessen Besitzer mir bei der Wohnungssuche geholfen hat, liegt um die Ecke. Nebenbei hat er uns erzählt, daß er das Geschäft von den Eltern von Eddy Merckx übernommen hat. Der kleine Eddy hat vor unserem Haus das Fahrradfahren geübt, bevor er in den siebziger Jahren serienweise die Tour de France gewonnen hat. Alois Berger