Patriotismus, Party, Pathos

Parteitag der US-Demokraten stößt auf Vergangenes  ■ Aus Chicago Andrea Böhm

Gejubelt wird hier viel und laut – meistens in der Basketballsaison, wenn Michael Jordan und die „Chicago Bulls“ ihre Gegner der Lächerlichkeit preisgeben. Ab heute lassen sich im „United Center“, das seinen Namen dem Sponsoring einer gleichnamigen Fluggesellschaft verdankt, die Demokraten feiern. Dieser Parteitag wird etwa so viel Spontaneität und Überraschungen bereithalten wie die Veranstaltung der republikanischen Konkurrenz Anfang August in San Diego.

Die perfekte TV-Show mit der richtigen Mischung aus Patriotismus, Party und Pathos ist geplant, mit der man den Vorsprung zu Bob Dole und den Republikanern in den Meinungsumfragen wieder vergrößern will. Videos über Bill Clinton, den Mann aus dem kleinen Dorf Hope in Arkansas, werden sich abwechseln mit Porträts ausgewählter, einfacher Amerikaner, die „hart arbeiten und sich an die Spielregeln halten“.

Der Schauspieler Christopher Reeve, der seit einem Reitunfall querschnittsgelähmt ist, wird zur besten Sendezeit reden. Edward Kennedy darf die Erinnerung an seine Brüder wachrufen. Evan Bayh, Gouverneur des Bundesstaates Indiana und aufstrebender Star des konservativen Parteiflügels, wird die Nominierungsrede für Bill Clinton halten. Der wiederum fährt am Donnerstag nach einer viertägigen Wahlkampftour durch sechs Bundesstaaten in Chicago ein.

Clinton kommt im schicken neuen Amtrak-Waggon

Bevorzugtes Transportmittel ist nicht wie vor vier Jahren der Bus, sondern 16 aufgemotzte „Amtrak“-Eisenbahn-Waggons mit dem klangvollen Namen „Zug ins 21. Jahrhundert“ – ein gewagter Titel, zumal das Streckennetz der nationalen Bahngesellschaft immer kleiner wird, ohne daß sich deswegen die Zahl der Entgleisungen verringern würde.

Die vorhersehbare Ereignislosigkeit des Ereignisses hält allerdings die Presse nicht davon ab, in Übermacht zu erscheinen. Den 4.289 Delegierten stehen über 15.000 Journalisten gegenüber, deren interessantestes Thema die Vergangenheit sein dürfte. In Chicago hatten die Demokraten zum letzten Mal 1968 ihren Parteitag veranstaltet. Damals bekämpften und beschimpften sich in der Halle Gegner und Befürworter des Vietnam- Krieges, während die Polizei auf Anordnung des Bürgermeisters Richard Daley in den Straßen vier Tage und Nächte lang mit Knüppeln auf Demonstranten einschlug. „Chicago 68“ gilt seitdem in den Augen konservativer Demokraten als Synonym für alle Übel in der Partei – vor allem jene, die mit dem Buchstaben L beginnen: „links“ und „liberal“.

Folglich soll der Parteitag 1996 nicht nur die Inszenierung der Republikaner in San Diego übertreffen, sondern auch endgültig die Geister von 1968 verjagen. Im Chicagoer Rathaus sitzt inzwischen Daleys Sohn, Richard Jr., der sich im Gegensatz zu seinem Vater auf die Kunst der Imagepflege bestens versteht. Die verelendete West- Side von Chicago, in der sich das „United Center“ befindet, weist renovierte Fassaden und frisch gepflanzte Bäume auf. Die Polizei ist angewiesen, Fotografen und Kameraleuten keinerlei Reminiszenzen an 1968 zu liefern. Den Demonstranten, von denen sich sehr viel mehr als in San Diego angekündigt haben, sind per Los in zwei abgesteckte „Protestzonen“ zugeteilt worden, die sie für jeweils sechzig Minuten benutzen dürfen. Einer der Führer der Protestbewegung von 1968, Tom Hayden, ist heute Delegierter auf dem Parteitag und wird auf einer Podiumsdiskussion erzählen, wie es war, als man sich seine Protestzonen noch selbst aussuchte.

Allerdings wollen sich nicht alle an das staatlich dosierte Recht auf Demonstrationsfreiheit halten. Unter anderem die „Campaign to Cash the Check“, die „Kampagne zur Einlösung des Schecks“, eine Koalition von mehreren Gruppen zur Bekämpfung der Armut, hat angekündigt, zu demonstrieren, wann immer und wo immer sie es für richtig hält.