Keine Frage des Vokabulars

■ Innerredaktionelle Diskussionen in einem Buch über 20 Jahre „radikal“

„Die radikal wird eben (fast) ausschließlich in der linksradikalen autonomen Szene gelesen und die taz vorrangig von rot-grünen Intellektuellen. Und dennoch versuch(t)en autonome Bewegungen immer wieder, auch in der taz ihre Inhalte unterzubringen, weil mensch sie als Brücke zur Öffentlichkeit benutzen zu können glaubt...“

Fragt sich, welchem proletarischen Mythos die unbekannte Autorin des Artikels „Subversives Blätterrauschen“ in dem Buch über zwanzig Jahre radikal denn anhängt, wenn sie behauptet, daß die Leserinnen der radikal nicht intellektuell seien. Und ob sie meint, daß der Unterschied der beiden Medien tatsächlich einer der Leserinnenschaft ist und nicht vielmehr einer der Themenauswahl.

Von den Brücken der radikalen Praktikerinnen in die Öffentlichkeit handelt das radikal-Buch und stellt auch selbst eine dar. Zusammengesetzt haben sich Ex- und Noch-radi-Macherinnen und auch das sympathisierende Umfeld und haben versucht, die Geschichte der klandestinen und kriminalisierten Zeitschrift aufzuarbeiten. Anlaß hierzu bot die Staatsschutz-Kampagne, die im Juni vergangenen Jahres unter anderem gegen alle, die an Produktion und Vertrieb der radikal beteiligt zu sein schienen, losgetreten wurde.

Sympathisch an der Zeitschrift radikal ist nun vornehmlich der Umstand, daß sie sich trotz ihrer konspirativen Ernsthaftigkeit eine witzige Ästhetik erhält; weniger charmant, aber wahrscheinlich notwendig ist es, daß das Buch ganz normal im Laden zu kaufen und dazu noch ganz unwitzig ist. Dadurch wird das Buch zur Quellen-Sammlung; wo Kritik am Konzept geübt werden könnte, stehen Kurz-Abrisse innerredaktioneller Diskussionen.

Die Ausführungen, die die Original-Zitate begleiten, lesen sich provozierend unkonkret: „Inwieweit untereinander in der Vernetzung noch andere Sachen eine Rolle spielen, hängt von der Qualität der Debatten und den perspektivischen Diskussionen ab.“ Und inwieweit die Leserin den sozialpädagogisierenden Selbstfindungsprozeßbeschreibungen der radikal-Redaktion folgen mag, hängt von der Größe des Solidaritätsbonus ab, den die radikal selbstredend trotzdem bekommt.

Womit jedenfalls bewiesen wäre, daß linke Radikalität nach wie vor eine Frage der Handlung und keine des Vokabulars ist. Die Faszination der radikal geht von der Militanz aus, die sich zwischen den Zeilen verbirgt, weil sie sich so schlecht verschriftlichen läßt. Die Bombenbauplan-Legende, die im Buch zu recht als stigmatisierend bemängelt wird – realiter hat es sehr wenige Bastelanleitungen gegeben –, zeigt, daß die radi-Rezeption von dem Bedürfnis nach Handlungsfähigkeit gesteuert wird.

Ulrike Winkelmann

20 Jahre radikal, Geschichte und Perspektiven autonomer Medien, Verlag Libertäre Assoziation u. a., 240 Seiten.