Malerei der Provinz des Herzens

■ Die Ausstellung „Herzhorn“ der Südkoreanerin Hyun Sook Song im Kunsthaus Hamburg

Im Februar 1996 wurde der südkoreanischen Künstlerin Hyun Sook Song der Edwin-Scharff-Preis 1995 der Hansestadt Hamburg verliehen. Bis heute wird diese Entscheidung für eine bei Hamburg lebende, malende Migrantin begrüßt. Die 1951 in Südkorea geborene Künstlerin lebt seit 1972 in Deutschland, und studierte von 1976 bis 1981 an der HfbK in Hamburg. Mit ihren Bildwelten (Malerei, Zeichnung, Foto-Installationen, Film) baut sie eine visuelle Brücke zwischen fremden Kulturen. Eine Auswahl ihrer Arbeiten ist jetzt im Kunsthaus Hamburg zu sehen.

19 Gemälde und eine Installation mit 10 Zeichnungen aus dem Zeitraum 1990 bis 1996 werden in einer unprätentiösen und zur Meditation einladenden Hängung präsentiert. Diese Gestaltung ist das Ergebnis der Zusammenarbeit der Künstlerin mit ihrem Lebensgefährten, dem Künstler und HfbK-Professor Jochen Hiltmann. Thema sind die mit rituellen Bewegungen verbundenen, aus dem koreanischen Schamanismus stammenden Zeichen und Symbole ihres Heimatdorfes Mu-Worli in der Provinz Cholla/Tamyang: Der Pfahl, das Haus, die Schuhe, das weiße Laken, der Knoten, das Tongefäß und der Tiger verweisen auf Erfahrungen aus der Kindheit. Die Bilder spiegeln den Versuch, die Erinnerung nicht verlöschen zu lassen und organisch gewachsene, soziale Strukturen im Bewußtsein wach zu halten. Dabei hat Hyun Sook Song immer einen doppelten Blick, der ihrem eigenen Lebensweg entspricht: Auszug und Heimkehr – die ambivalente Frage nach einer Identität zwischen Heimat und Fremdheit. Distanziertheit und Sentimentalität treten als sich wechselseitig bedingende Energien in Kraft: in Installationen und in dem Film „Mein Herz ist eine Flasche“ agiert die Künstlerin in der Provinz ihres Herzens: die Tage der Kindheit auf dem Lande, die sich für sie bereits in ambivalenter Wahrnehmung ereignen. Neugier und Angst, Freude und Melancholie, das Erlernen des Traditionellen und die Entwicklung des Neuen. In der koreanischen Mythologie sind der Tiger und die Tigerin symbolhafter Ausdruck der sich bedingenden Ambivalenz von Angst-Erfahrung und Weisheit. Es verwundert nicht, daß 1990 ein poetisches Kleinod von Sarah Kirsch mit dem Titel „Tiger im Regen“ erschien und bildnerisches Arbeiten von Hyun Sook Song integrierte. Der Tiger, ein Berggott, steht für die ambivalente Kraft der Natur und den Vollzug schneller, kraftvoller Bewegungen. Im Werk der Malerin erscheint dies mimetisch als gestischer, religiös gespeister Duktus: eine konzentrierte Form. Der koreanische Kunstkritiker Kyuchul Ahn bemerkt hierzu im Katalog treffend: „Mit der Figur des Maltugi (Pfahl) tauchen in ihren Bildern zwar zeichenhaft koreanisch Motive auf; die typisch koreanische Emotion entsteht aber nicht auf der Ebene dieser Motive, sondern kommt aus der inneren Haltung wie aus der körperlichen Konstitution; d.h. aus der Ebene der Methode, mit welcher die Bilder gemalt wurden. Und die Methode ist das „Setzen von Pfählen“ selbst: abgezählt gesetzte, expressive Pinselstriche..“ Der Pfahl selbst ist sowohl Bewahrungsort (als Bewahrungsort) und Widerstandssymbol (als Versteck im Krieg). Dualistische Verdichtungsenergien treten hier auf, wie wir sie aus Arbeiten von Joseph Beuys kennen. Auch eine mit Jackson Pollock vergleichbare expressive Gestik bei der Erstellung von auf dem Boden erstellten Bildern verbindet die östliche mit der westlichen Sphäre. So wird Malerei selbst zeitgemäß thematisiert und inhaltlich mit einer politischen Vision verbunden: das dualistische Darstellungsprinzip als Ausdruck der Spannungen zwischen Nord- und Süd-Korea – Gestaltung einer Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung, wie sie gerade jetzt wieder aktuell geworden ist.

Schade nur, daß sich Kunsthaus und Kulturbehörde der Kataloggestaltung durch Frau Song verweigert haben. Ein Akt fachlicher Inkompetenz und Entscheidungslosigkeit, wenn man die früheren Druckwerke unter der Regie der Künstlerin mit dem aktuellen Katalog-Produkt vergleicht. Man hätte sich besser die Demut, Bescheidenheit und Gestaltungskraft der Künstlerin zu eigen machen sollen – ganz im Sinne einer Aussage aus ihrem Film zur Auflösung von Gram und Schmerz: „Wenn ich den Knoten des Herzens löse, werde ich leicht wie ein Schmetterling.“ Aus dieser Haltung einer Migrantin ist viel zu lernen.

Gunnar F. Gerlach

Kunsthaus Hamburg, Klosterwall 15, bis 6. Oktober; Katalog DM 16,-.