Der Barbier von Bebra (21)

■ Von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel

Was bisher geschah: Bei ihrem Lieblingschinesen erzählt Gisela Güzel Harry Rowohlt von ihrer Zeit als Campus-Cop.

„Die Erstsemester nannten sich Erstis, und die Lappen, die sie an die Wände pappten, hießen Transpas und Flugis – ich war noch nie so froh, daß ich einen Knüppel bei mir hatte.“ Sie lächelte maliziös. „Eigentlich müßte man den ganzen AStA auseinanderschrauben.“

„Da bin ich dabei“, versprach Harry Rowohlt. „Und hinterher knöpfen wir uns die Goethe-Institute vor! Die gehören alle ausgeräuchert.“ Er steckte sich eine filterlose Gauloise an. „Und das Restaurant hier wird eingeräuchert.“ Genüßlich blies er eine dicke Wolke Tabaksqualm an die Decke. „Aber wieso haben sie dich überhaupt in die Wüste geschickt?“

„Wegen Majestätsbeleidigung. Manfred Kanther hatte bei einem Empfang im Präsidium ununterbrochen mit seinen Verdienstorden auf dem Brustlatz herumrenommiert. Ich hab' ihn dann gefragt: ,Und wohin haben Sie sich das Mutterkreuz Ihrer Frau gesteckt?‘ Da war der Ofen natürlich aus.“

„Noch zwei blaue Metaxa!“ rief Harry Rowohlt der Kellnerin zu. „Ich möchte meine Tischdame doppelt sehen!“ Es wurde immer netter. „Das mit dem Mutterkreuz war nicht von schlechten Eltern. Ganz im Gegensatz zu dir, wie ich leider vermuten muß. Oder woher kommt die Familienphobie?“

„Meine Mutter ramentert seit Monaten durch Italien, um sich künstlich befruchten zu lassen. Mit 72! Vierzehn Kinder reichen ihr noch nicht. Und mein Vater war ein echter Stechschrittschlesier. Wenn der im Winter ein Bad nehmen wollte, hat er draußen mit der Handkante ein Loch ins Eis gehackt und sich nackt in die Entengrütze gestürzt.“

Harry Rowohlt bot der Kommissarin eine Gauloise an. Gisela Güzel griff zu und lehnte sich zurück. „Jeden Sonntag sind wir in kneifende Trachten gepfercht worden. Aber am schlimmsten waren die Sonnenwendfeiern. Mitten in der Nacht zelebriert, im Garten. Zwischen den Gurken. Nichts als Augenrollen und Gehopse. Eurhythmie, dich vergeß ich nie!“ Sie stieß auf. „Anthroposophen sind meine Eltern nämlich auch noch gewesen. Immer über rechte Winkel gequengelt, wegen der Harmonie, aber wenn wir nicht parierten, gab es Senge mit der Nilpferdpeitsche.“

Sie paffte und schloß die Augen. „Und dann jedes Jahr dieses Schlesiertreffen. Was da für Figuren aus ihren Löchern gekrochen kamen! Doppelkinn nach oben und braunen Schaum vorm Maul. Noch ein Knochen im Dutt, und man hätte Neandertaler vor sich gehabt! Und in der Zigarettenpause haben sie sich auf dem Pissoir von jugoslawischen Gastarbeiterinnen für 50 Pfennig einen blasen lassen.“

Die Zeche war schon recht ansehnlich, als Harry Rowohlt das Gespräch geschickt wieder auf die Belohnung lenkte. „Der Schlesier mag ein Neandertaler sein, aber der Amtsschimmel ist kein Dukatenesel. Den Bartmörder habe ich auf den Kopp gehauen. Das gleiche möchte ich demnächst mit der Belohnung tun. Aber die Knickstiefel rücken nichts raus. Kannst du da nicht was deichseln?“

„Ich glaube, du hast nur einen Trittbettfahrer erwischt“, sagte Gisela Güzel. „Dieser Simulant, den du abgeliefert hast, könnte nicht einmal Jürgen Fliege etwas zuleide tun.“

„Ewig schade! Aber sei's drum. Themawechsel!“

Später, beim Hinausgehen, drehte Harry Rowohlt sich noch einmal um, reckte die linke Faust in die Höhe und rief: „Der Bataille, der Bataille, der hat immer recht! Rotfront!“

Draußen brüllten die Zeitungsverkäufer: „Extrablatt! Extrablatt! Bartmörder gefaßt! Morgen große Siegesfeier in Berlin!“

Harry Rowohlt nahm sich einen der Bengel zur Brust, rollte mit den Augen und grollte: „Und nur dieses sage ich: Pfui, mein Sohn, entferne dich!“

Fortsetzung folgt

Erscheint im Herbst bei Edition Nautilus