Angst essen Seele auf

■ Werder krampfte gegen Gladbach gerade mal ein 1:0 / Aus dem Weserstadion Ralf Fücks (MdBBÜ adé)

Die Saison war gerade drei Spiele jung – da lag über dem Weserstadion am Dienstagabend schon ein Hauch von Abstiegskampf. „Heute geht's schon um's Ganze“, unkte ein Monsieur Lothar vor dem Spiel – und das galt offenbar für beide Kontrahenten des Abends. Gladbach wie Werder – beide mit großen Hoffnungen in die Saison gestartet, brauchten dringend einen Sieg, um nicht gleich am Anfang den Anschluß nach oben zu verlieren. Entsprechend war das Spiel – keine Minute langweilig, gegen Ende richtig dramatisch, mit Chancen zuhauf, Dusel und Pech. Aber eben mehr Krampf als Klasse, trotz den Lichtgestalten Eilts und Effenberg.

Werder startete fulminant. Sogar Hobsch täuschte Torinstinkt vor und setzte in der zweiten Minute einen Kopfball auf das Tornetz. 20 Minuten dauerte das grün-weiße Powerplay. Auf der Tribüne rieb man sich ob der lange nicht gesehenen Bremer Vorneverteidigung und Sturmlust die Augen: „sind die gedopt?“ Dann ließen die Gladbacher erstmals etwas von ihrer legendären Angriffskunst ahnen, Juskowiak verfehlte knapp. Als das Spiel zu kippen drohte, trat Riese Schulz in Aktion. Todt legt im Mittelfeld auf, Schulz lief ungestört ein paar Schritte und versuchte sein Glück: aus dreißig Metern flach ins linke Eck. Torwart Kamps reagierte reichlich spät – vermutlich war er genauso verblüfft wie die 24.000 im Stadion. Hoffnung auf mehr blühte auf. Ansätze waren da – der freche, dribbelstarke Newcomer Christian Brand an der linken Außenlinie; die anfangs souveräne Dreierkette mit Votava und Ramzy im Zentrum – und Dieter Eilts knüpfte dort an, wo er bei der Europameisterschaft aufgehört hatte. Er neutralisierte in der ersten Hälfte Effenberg, putzte aus, trieb an, spielte den Chef und war es auch. Bloß im Sturm haperte es.

Bode war viel unterwegs, kombinationsfreudig, aber ineffektiv. Bernd Hobsch war ein wahrer Jammer. Er irrte verzweifelt über den Platz, stolperte ins Abseits oder tauchte ohne Not am eigenen Strafraum auf, wo er von Eilts barsch nach vorne verwiesen wurde. Als der spielstarke Hany Ramzy Mitte der ersten Halbzeit verletzt ausgewechselt werden mußte, offenbarte Hobsch seinen Seelenzustand in einer geradezu tragikomischen Szene. Das Spiel war unterbrochen, der Linienrichter signalisierte die Auswechslung, Wolter stand an der Seitenlinie bereit. Hobsch sah es – und trabte prompt demütig vom Spielfeld. Erst als sich sein Weg mit Ramzy kreuzte, kapierte er den Irrtum und kehrte um. Ein zutiefst verunsicherter Unglücksrabe. Im Fußball entscheidet aber wie in der Politik das Selbstbewußtsein. Wer nicht an sich glaubt, schießt höchstens Eigentore.

Zur zweiten Halbzeit kam Hobsch nicht wieder. Der eingewechselte Scholz schoß gleich zu Beginn spektakulär an die Unterkante der Latte. In der 48. Minute flog Kastenmaier nach einer Catch-Einlage gegen Brand vom Platz, und siehe da, der Trotz-Effekt tat seine Wirkung. Ab sofort nahm die Borussia das Heft in die Hand. Verkehrte Welt im Weserstadion. Jetzt bewies Effenberg, daß er ein großer Spieler ist. Er trieb sein Team nach vorn, kämpfte um jeden Ball, schlug Zuckerpässe aus dem Fußgelenk und nötigte Reck zu tadellosen Rettungstaten. Wer hat da je von „Pannen-Olli“ gewitzelt? Reck, Schulz, Eilts sorgten in dieser Phase dafür, daß die Werder-Dämme nicht brachen. Denn auch der zweite Platzverweis (wieder nach einem Foul gegen Brand) ließ die Gladbacher nicht resignieren. In der letzten Viertelstunde spielten sie alles oder nichts.

Das eröffnete Werder die berühmten Räume zum Kontern. Zuerst lief Wolter allein auf Kamps zu, zögerte aber so lange, bis ihm ein Gladbacher in die Parade fuhr. Temperament vortäuschend, trat er krachend gegen die Bande. Dann verdaddelte Brand nach schönem Dribbling. Bode verstolperte vor dem Tor in Überzahl. Zum krönenden Abschluß erkämpfte sich Cardoso die Pille im Mittelkreis, hatte freie Bahn zum Tor und alle Zeit der Welt. Die leidende Werder-Gemeinde hoffte auf Erlösung, doch auch ihm, der seit einem Jahr seinem Freiburger Ruhm als Spielmacher-Torjäger nachläuft, versagten die Nerven. Da hatte Schiedsrichter Fröhlich ein Einsehen und pfiff ab.

Diagnose nach vier Punktspielen: der Hobsch-Bazillus grassiert. Bestchastnikh trumpft nur in der russischen Nationalmannschaft auf, Cardoso wirkt gehemmt, Bode rennt seiner Form hinterher, Herzog hängt sein schwarzes Jahr bei den Bayern an, Todt spielt unter seinen Möglichkeiten, und vor dem Tor bekommen alle Muffensausen. Vielleicht sollte die Mannschaft ein paar Trainingseinheiten auf der Couch absolvieren.