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Höllensturz im Freizeitpark

■ Lidokino: Die Filmfestspiele von Venedig eröffnen mit blitzneuen Goldskulpturen und einem Gefängnisdrama von Barry Levinson: "Sleepers"

Die Selbstpräsentation der Biennale drängt, soviel ist sicher, mehr und mehr in Richtung Erlebnispark. Deutlich aufgeschnatzt zum Beispiel wurde das Kasino, in dem die großen Pressevorführungen stattfinden: Vor dem Eingang befindet sich eine erschütternde goldene Damenpoposkulptur, die Pressefächer sind in einem weißen, nach „Holiday on Ice“ aussehenden Zelt untergebracht, mitten im Gebäude steht ein Brünnlein – a river runs through it! – und auf acht großen Bildschirmen kann man dem Festival ins Internet folgen; selber surfen darf man aber nicht.

Solchermaßen eingeschunkelt wundert einen nicht, auf dem Programm eine Hommage an Freddie Mercury zu finden. Überraschend ist dagegen aber schon, daß die Festivalleitung nicht viel mehr von einer fantastisch recherchierten und dokumentierten Retrospektive von „Beat“-Filmen hermacht: frühe Filme von Stan Brakhage, Roger Corman, Jonas Mekas, James Whitney, bis hin zu neueren „Essays“ über Timothy Learys Tod, über „The Coney Island of Lawrence Ferlinghetti“ oder Vater Huncke, der kürzlich ebenfalls von uns gegangen ist. Von der Reihe wird noch zu reden sein.

„Sleepers“ von Barry Levinson zum Eröffnungsfilm zu machen, war hoffentlich nicht böse gemeint. Gearbeitet wie ein mittelalterliches Tryptichon, beschreibt die ellenlange Exposition zunächst das Glück vor dem Sündenfall: Hell‘s Kitchen hieß ein kleines Viertel auf der Westside New Yorks zwischen 34. und 56. Straße, das in den sechziger Jahren wesentlich in der Hand von Priestern und Gangstern gewesen sein soll. Italiener, Iren, Polen und Puertoricaner leben in der sepiafarbenen ersten Hälfte des Films dort in der Art von Eintracht, die Levinson einem Blue- collar-Milieu konzediert: gürtelschwingende Väter im Unterhemd, Spiele im Wasserstrahl, Gucklöcher in die Mädchenumkleidekabine. Sie heißen King Benny, Fat Mancho oder Shakes. Vier Jungs wie Pech und Schwefel bauen sich ein Weltbild. „Die Demonstrationen in Washington für Love und Peace und gegen den Vietnamkrieg“, so erzählt einer von ihnen aus dem Off, „das war für uns wie auf einem anderen Planeten. An uns als Meßdiener war es dann, die Gefallenen zu beerdigen.“ Und man dachte schon, das Sixties-Bashing sei mit „Forrest Gump“ vorbei! Jeder von ihnen hat nur ein Buch neben der Bibel: „Der Graf von Monte Christo“.

Weil sie jemandem einen bösen Streich spielen, kommen sie in eine Jugendstrafanstalt, und hier öffnet sich der Mittelteil des Tryptichons, die schwärzeste aller Höllen. Goldhagen meets Oliver Stone. Beim leitenden Sadisten müssen sie vom Boden essen, in Dunkelhaft vegetieren und einen Rosenkranz beten, während er sie wieder und wieder vergewaltigt. Michael Ballhaus, der Kameramann, der gar nicht anders kann, als aus allem eine Symphonie zu machen, schneidet den Kinderschänder in immer neuen Untersichten an, rast durch schwarze Tunnel (wie in einem Darm?), vergrößert arme kleine weiße Hände, die sich hilflos um Gitterstäbe krallen und gewinnt schließlich, im dritten Teil des Tryptichons, die Obersicht auf den inzwischen verwahrlosten Täter, dessen Exekution man dann, durchgewalkt wie man ist, nur noch abnicken kann. Mariam Niroumand

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