Die Stadtgrenze wird zur Demarkationslinie

■ Die einstige Fußballhochburg Franken ist jetzt drittklassig, aber zum morgigen DFB-Pokal-Derby Nürnberg gegen Fürth ist das Frankenstadion trotzdem ausverkauft

Nürnberg (taz) – Amsterdam, 21. April 1924, Länderspiel Niederlande gegen Deutschland. Für Deutschland stehen fünf Nürnberger und sechs Fürther auf dem Rasen und gewinnen mit 1:0. Doch von der einstigen Fußballhochburg Nürnberg/Fürth, die in den 20er Jahren von zehn möglichen Meistertiteln sieben (fünfmal der „Club“, zweimal die SpVgg Fürth) gewann, ist nur ein Trümmerhaufen geblieben. Der neunmalige deutsche Meister 1. FCN wurde von der Bundesliga in die Regionalliga durchgereicht. Im frisch renovierten Frankenstadion gastieren nun die Kicker aus Egelsbach, Weisman oder Ditzingen. Längst hat der ruhmreiche Verein dank Schiedsrichter-Bestechungsaffären, inhaftierter Schatzmeister und Präsidenten den zweifelhaften Rang des Skandalvereins Nummer eins von Schalke 04 übernommen.

Und die SpVgg Fürth gibt es seit einem Jahr gar nicht mehr. Nach jahrelangem Dümpeln in der Bayern- und Landesliga fusionierte man mit dem Dorfverein TSV Vestenbergsgreuth zu einem Gebilde mit dem schrecklichen Namen SpVgg Greuther Fürth. Schon vor der DFB-Pokal-Begegnung am Samstag haben sich die beiden Regionalligisten für die laufende Saison Großes vorgenommen: Die Rückkehr in den bezahlten Fußball. Club-Vereinspräsident Michael A. Roth, Inhaber von über 100 ARO-Teppichböden-Filialen, will „alles oder nichts“ und mit einem Zehn-Millionen-Mark-Etat, von dem die meisten Zweitligisten nur träumen können, den Weg nach oben erzwingen. Der Aufstieg muß es sein, „alles andere zählt nicht“, weiß Club-Trainer Willi Entenmann. Die Truppe, die der wackere Schwabe betreut, besteht aus Profis mit Erst- und Zweitligaerfahrung, einem lettischen Nationalstürmer und zwei kroatischen Talenten.

Roth hat mit seinen radikalen und oft heftig umstrittenen Sanierungsmaßnahmen den Schuldenberg von 24 auf neun Millionen abgebaut. Aber der Club muß aufsteigen, um sich weiter zu entschulden. Um weniger als drei Millionen Minus in der Regionalliga-Saison einzufahren, braucht er einen Zuschauerschnitt von 10.000 und den Einzug in die dritte Pokalrunde, also einen Sieg im Pokalderby.

Die SpVgg Greuther Fürth hat da weniger Probleme. Zwar startet auch sie mit einem Millionen-Etat (2,8 Mio.) in die Saison. Doch allein die Hälfte davon hat Vereinspräsident Helmut Hack schon durch Sponsorengelder abgedeckt. Hack, Manager von Milford-Tee und Hauptsponsor der Fürther, ist von einem Sieg über den Club überzeugt. Auf eine eigene Teesorte wie beim 1:0 gegen Bayern München im letztjährigen Pokal („1:0-Tee“) oder dem Sieg gegen Cup-Verteidiger Kaiserslautern in der ersten Runde („Rote-Teufel- Tee“) will er diesmal verzichten: „Erst in der dritten Runde lassen wir uns wieder etwas einfallen.“

Schon jetzt reiben sich die Schatzmeister die Hände. Fürth trägt aufgrund der geringen Kapaziät und der Baufälligkeit des eigenen Stadions sein Heimspiel im Nürnberger Frankenstadion aus. Dem Unmut der eigenen Fans sieht Hack gelassen entgegen, schließlich hat er mit den Club- Verantwortlichen einen Bonus ausgehandelt. So werden die Einnahmen nicht wie üblich halbiert, sondern 60:40 aufgeteilt. Zum Leidwesen der Nürnberger beansprucht Fürth, offiziell Gastgeber des Derbys, die entsprechende Kabine der Heimmannschaft, also die des 1. FCN. Club-Trainer Entenmann reagierte verärgert: „Das sind doch Kindereien.“ Solche „Kindereien“ heizen die Stimmung an. Seit Tagen gleichen die Sportseiten der Lokalzeitungen Bulletins zum Gesundheitszustand angeschlagener Spieler.

Das Frankenstadion wird ausverkauft sein, angesichts der Rivalität beider Vereine und Städte kein Wunder. Die Nürnberger fühlen sich als Großstädter (500.000 Einwohner) und betrachten Fürth (100.000) als lästigen Emporkömmling. Die Fürther wiederum wollen mit dem hochnäsigen Nachbarn nichts zu tun haben. Obwohl die Städte inzwischen zusammengewachsen sind, bildet die Stadtgrenze eine regelrechte Demarkationslinie. Eine Rivalität mit Tradition. Als man in den zwanziger Jahren beide Städte vereinen wollte, scheiterte dies am vehementen Widerstand der Einwohner. Der damalige Fürther Flügelflitzer Sutor mußte gar zum Club wechseln, weil er es gewagt hatte, eine Nürnbergerin zu ehelichen. In diese Zeit fiel auch das Länderspiel gegen Holland. Im selben Zug, aber in getrennten Waggons reiste die Nürnberg/Fürth-Kombination an. Das entscheidende Tor erzielte der Fürther Auer auf Vorlage des Clubers Träg. Während die Fürther jubelten, wandten die Nürnberger dem Schützen den Rücken zu. Nach dem Sieg fuhr man in getrennten Waggons wieder nach Hause. Bernd Siegler