Der Barbier von Bebra (24)

■ Von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel

Was bisher geschah: Kommissarin Gisela Güzel hat den bösen Bartmörder ertappt – auf frischer Tat.

Die Kommissarin lief zum Fernsehturm hinüber und baute sich neben dem Eingang auf. Scharen von Schaulustigen quollen heraus. Aufmerksam betrachtete sie jedes einzelne Gesicht. Es war viel Schwund dabei. Der Haß gegen die Niedrigkeit verzerrte die Züge, und der Zorn über das Unrecht machte die Stimmen heiser.

Der einzige gutaussehende Mann, den sie erspähte, ließ sich davon nicht anstecken. Ein breites Lächeln lag auf seinen Zügen, als er sich, die Hände in den Taschen, ohne Eile unter die Menschen mischte. Die Kommissarin ging auf den Täter zu.

„Laalü, laala“, sang sie ihn an. „Nur eine Frage: Warum haben Sie es nicht wie einen Unfall aussehen lassen?“

Der Mann betrachtete sie freundlich. „Gisela Güzel, nehme ich an. Ich habe Sie im Fernsehen gesehen. Mein Name ist Michael Rudolf. Und die Puhdys – ach, wissen Sie, ich habe sogar schon ein Bekennerschreiben verfaßt. Meine Brüder und Schwestern im Osten sollen ruhig wissen, daß es noch nicht vorbei ist.“ Er hielt ihr seine Hände hin. „Es sei denn, Sie nehmen mich jetzt fest.“

„Übertreiben Sie es mal nicht mit der Koketterie“, sagte die Kommissarin und schob die dargebotenen Hände beiseite. „Es muß ja nicht gleich jeder wissen, daß der Bartmörder ein netter Mensch ist.“

„Ist das vielleicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?“

„Abwarten. Und Tee trinken. Oder einen Martini. Es dürfen auch zwei sein. Und dabei möchte ich ein schönes Geständnis hören.“

*

Die Kommissarin und der Bartmörder saßen im „Roten Salon“ der Volksbühne und waren beim dritten Martini. Gisela Güzel hatte ihr schönes Geständnis bekommen. Michael Rudolf war ein bibliophiler Sumsebold aus Thüringen, der es eines Tages nicht mehr ausgehalten hatte, von bärtigen Nullen, Dichtern und Christen kujoniert zu werden.

„Als ob es im Osten nur Spitzel oder Dissidenten gäbe, die nicht schreiben und sich nicht rasieren können!“ sagte er. „Man muß sich ja schämen, einer von denen zu sein – einer vom doofen Rest.“

„Ich kenne das Gefühl“, erwiderte Gisela Güzel. „Meine ganze bucklige Verwandtschaft kommt aus Schlesien.“

Michael Rudolf schüttelte sich. „Am Anfang dachte ich bloß: Es gibt Dinge, die ein Mann tun muß. Aber dann hab' ich allmählich Geschmack an der Sache gefunden. Es ist schön, wenn man sein Hobby zum Beruf machen kann.“

Gisela Güzel lachte.

„Die anderen haben schließlich angefangen“, sagte Michael Rudolf. „Und wo steht geschrieben, daß der Klügere immer nachgeben muß?“

„Und wieso die Puhdys? Nicht, daß deshalb jetzt die Gondeln Trauer trügen, aber neugierig bin ich schon.“

„Neulich hat sich doch dieser Pinsel in Hamburg als Bartmörder ausgegeben. Der wollte sich auf meinen Lorbeeren ausruhen! Nun mal halblang, hab' ich gedacht. Der Mörder bin immer noch ich! Da kamen mir die Puhdys gerade recht. Vielleicht kennen Sie dieses Lied von ihnen?“ Er sang: „Das ist keine Ente – wir spielen bis zur Rockerrente!“

„Aber zum Glück auch keine Minute länger“, sagte die Kommissarin. „Wie beim Fähnlein Fieselschweif. Jeden Tag eine gute Tat! Darf ich mich erkenntlich zeigen? Noch ein Freigetränk vielleicht?“

*

In Stefan Derricks Schwabinger Apartment brannte noch Licht. Der Oberinspektor hatte lange, lange nachgedacht. „Ich glaube, ich weiß jetzt, was du meinst, Harry“, sagte er.

Aber Harry Klein war inzwischen verhungert.

E N D E

Bonustrack folgt

Vorabdruck; erscheint bei Edition Nautilus