Die Leute wollen einen Neuen

Die Frage ist: Wer wird er? Wie man den Boxer Torsten May auf den Weltmeistertitel vorbereitet – und den Markt auf einen Weltmeister May  ■ Aus Palma Peter Unfried

Der Freitag begann schlecht für Matthias Kühn. Palma wachte erneut im Regen auf. Regen aber kann der Geschäftsführer von Kühn & Partner überhaupt nicht brauchen. Der größte Immobilien- Makler Mallorcas hat die Insel als „ein Standbein in Europa“ definiert, „wo es einige Attraktionen noch nicht gibt.“ Drum hat er dem Boxpromoter Wilfried Sauerland den WM-Kampf zwischen Torsten May und Adolpho Washington abgekauft. Die vakante IBF-Cruisergewichts-WM wird heute unter freiem Himmel ausgetragen, und Kühn (38) muß sehen, wie er da wieder rauskommt. Man kann nicht sagen, daß Boxen bei den Mallorquinern das große Ding sei. Nun hat der Makler auch noch merken müssen, daß morgen die Fußballsaison losgeht und „Real Madrid unglücklicherweise am Samstag abend“ spielt.

Bleiben immer noch die Deutschen, für die man diesen „Beitrag im Entertainment-Bereich, äh Sport-Entertainment-Bereich“ (Kühn) in erster Linie anbieten dürfte. Doch auch da gibt es ein kleines Problem, das der just aus Berlin eingeflogene Fremdenverkehrsexperte Graciano Rocchigiani folgendermaßen beschreibt: „Die Familien-Urlauber sind schon weg, die Kegelbrüder noch nicht da.“ 70 bis 80.000 Touristen sollen im Moment auf der Insel sein, neben den 40.000 residente permanente. Für Mallorca ist das nicht viel. Palma macht einen geradezu stillen Eindruck.

Im übrigen hat Neu-Veranstalter Kühn beim Versuch, Menschen in die Stierkampfarena „Coliseo Balear“ zu bringen, noch ein klitzekleines Problem: seinen Helden.

Torsten May (26) ist ein freundlicher, höflicher, zurückhaltender junger Mann. Geboren ist er in Sachsen, zuletzt lebte er lange in Frankfurt/Oder. Wenn er in diesen Tagen etwas sagt, dann häufig den Satz: „Ich kann mir alles vorstellen.“ Heißt: Er ist für alles offen. Aber: Er steht noch für nichts. Genau wie der Henry Maske des Frühjahrs 1993, ist er nur ein Boxer, der um eine Weltmeisterschaft boxt. Man kann ihn ihn nichts hineininterpretieren. So hat man May gerne, aber nicht gerade aufgeregt zugehört, als er bei der Pressekonferenz bemüht war, Fragen ernsthaft zu beantworten. Doch sein Mund verlor viele Blicke, als Graciano Rocchigiani mit Managerin Christine Rocchigiani hereinspaziert kam. May hat die Rocchigianis höflich begrüßt. Das Interesse an ihm aber ließ schlagartig nach, als es dem neuesten Bulletin des zur Stunde noch verhinderten WBO-Halbschwergewichtweltmeisters zu lauschen galt.

Auch Immobilienmakler Kühn, der einen möglichen Verlust branchenüblich als „Investition in die Zukunft“ euphemisiert, zeigte auf Rocchigiani und raunte: „Mit dem wäre es natürlich etwas anderes.“

Was Mays Entwicklung betrifft, vermeldet sein Promoter Wilfried Sauerland, es sei „eine große Wandlung“ mit ihm vorgegangen, seit er sich ohne Freundschaft aus Manfred Wolkes Camp in Frankfurt/Oder verabschiedet hat. „Freier“ sei May geworden, „lockerer“, seit er dem Drill der Old School entronnen ist. Damit allerdings ist der Rechtsausleger May immerhin Olympiasieger in Barcelona und Weltmeister (1991) geworden. Inzwischen hat er 15mal als Profi geboxt, natürlich 15mal gewonnen, doch war er im letzten Jahr aus dem Tritt geraten wg. Schulterverletzung und Virusinfektion. Und weil er als Nummer 3 bei Wolke nicht richtig atmen konnte, eingeschnürt in die nahtlose Titelkampfkette der Kollegen Maske und Schulz.

Jetzt hört der eine auf, und der andere ist auch bei ohne Zweifel vorhandenem guten Willen aller Beteiligten nur mit Mühen als Held erklärbar; da bietet sich für den Fernsehsender RTL auch die Chance, diesmal alles noch besser in den Griff zu bekommen. Maske, der Prototyp des deutschen Boxhelden, entstand ja nicht im Labor, sondern aus einer Vermischung von Zufällen und gutem Willen. Schulz wurde optimal präsentiert, schlug überall prima ein, funktionierte aber bedauerlicherweise nicht mehr, als es ans Boxen ging.

Torsten May ist ein guter Boxer. Ähnlich wie bei Maske ist seine Cruiser-Gewichtsklasse zwar nicht ganz offen, aber ein überschaubarer Markt, den Sauerland mit einiger Mühe so sortiert hat, daß dieser Kampf zustande kam. Nun muß Geschäftspartner RTL dem Promoter Sauerland noch beim Verpacken assistieren. Es ist nicht so, daß die Experten May nicht kennen würden. Doch die Frage ist weniger: Wer ist May? Das weiß man: Ein Boxer, den bisher im allerbesten Fall 3,96 Millionen RTL-Zuschauer boxen sehen wollten. Die Frage lautet: Wer wird May? Damit mehr zuschauen?

Weil nach Ajax das neue Ajax kommen muß, ist es nur folgerichtig, wenn May sagt: „Die Leute wollen keine Kopie von Maske. Sie wollen einen neuen Mann.“

Was kann der neue Mann? Der neue Mann kann seine Gegner möglicherweise auch K.o. schlagen. Das ist gefährlich für den – und die Werbeinseln. Es erhöht aber auch seine Attraktivität. May hat 10 seiner 15 Kämpfe vorzeitig gewonnen, doch haben Experten immer gern eine gewisse Passivität und einen steifen Oberkörper bekrittelt. Nach acht Wochen Arbeit mit John Smith in London und zuletzt auf einer mallorquinischen Finca sagt May, er glaube, sein Schlag sei härter geworden, er fühle sich „im Oberkörper beweglicher“. Malcolm Garrett ist der Trainer und Manager von Adolpho Washington. „Wenn du ein bestimmtes Alter hast, hast du auch einen bestimmten Stil“, sagt der, „den kannst du vielleicht ein, zwei Runden ändern, aber nicht für einen ganzen Kampf.“ Washington (28) ist übrigens die IBF-Nr. 1. Die Zahl der US-Journalisten auf Mallorca: Null. Auf dem offiziellen Kampfplakat sieht man den Jungen aus Louisiana in der Pose vor der Kampfaktion. Die Faust eines entschlossenen Torsten May landet derweil am Kopf eines gesichtslosen dritten Fighters. Es ist klar, daß dieser dritte Washington sein soll.

Beim Händeschütteln für das Pre-Fight- Foto gelang May allerdings nur ein freundliches, höfliches Lächeln. Routinierter war da schon jenes von Hans Mahr. Der RTL-Chefredakteur macht seinem Boxer keine Quotenvorgabe. „Zunächst geht es darum, daß wir jemanden haben, den die Deutschen als Helden sehen können“, sagte Mahr. Der hat's gut. Seinem Publikum kann's schwerlich auf den Kopf regnen. Als er das gestern sagte, war der Himmel über Mallorca immer noch wolkenverhangen.