Butterfahrt ins Compuland

Ein Rundgang auf der Computerkid-Messe Cebit Home. Massen bei den Herstellern und Leere an den Ständen von Behörden oder Parteien  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Wollten Sie immer schon auf dem rappelvollen Stand des Software- Herstellers F. einem alten Tennisschläger Gitarrenklänge entlocken? Wünschen Sie dringend, in 15 Sekunden die Betonkletterwand des PC-Produzenten A. zu überwinden – um stolzer Besitzer eines Reklame-T-Shirts zu werden? Haben Sie etwa das ewige Internet-Surfen satt und möchten unbedingt mal auf einem maschinell bewegten Plastiksurfbrett stehen? Schließlich legt dazu der DJ noch schrillen Kinderrock von „Meinen Teddybären“ auf, und der tagesbeste Plastikbrettsurfer erhält gratis ein Modem der Firma C. All das bieten Ihnen die fünf Messehallen der Cebit Home in Hannover. Aber Sie müssen sich sputen, denn diese erste fünftägige Kinder-Cebit schließt schon morgen ihre Tore.

Trauben von Kindern und Jugendlichen nicht nur um den Riesenstand des Videospielherstellers S. Überall, wo in den Hallen richtig Gedränge ist, müssen die Kids laufend mit dem Joystick ballern, um in einer dreidimensionalen Bildschirmwelt nicht selbst Opfer von Monstern oder Raumfahrzeugen zu werden. Der Veranstalter hat bewußt für einen niedrigen Altersschnitt gesorgt: Für den Besuch anderer Ausstellungen auf dem Messegelände muß man mindestens 16 Jahre alt sein. Nur diesmal, bei der Kinder-Cebit, hat die Messe AG auf ein Mindestalter verzichtet. Deswegen kann deren Sprecherin die ersten Ausstellungstage wie immer erfolgsgewohnt bilanzieren: „Wir sind mit dem bisherigen Messeverlauf zufrieden und werden die erwartete Besucherzahl von 150.000 wohl eher übertreffen.“

Die Cebit Home ist eine Computer- und Multimedia-Ausstellung für das breite Publikum, eine Reklameshow eben, eine massenhafte Butterfahrt ins Compuland. Da trifft man auch auf den Stand der eigenen Bank und der eigenen Krankenversicherung. Die verkauft zwar weder Software noch Computer, ist aber eben aus „PR- Gründen“ hier. Überhaupt scheint ein Großteil der Aussteller ihre Stände nach dem Motto „Dabeisein heißt modern sein“ gebucht zu haben: Auf einem Drittel bis der Hälfte der Ausstellungsfläche fehlen die Menschentrauben. Dort wollen Behörden, Parteien oder öffentliche Institutionen dringend ihr altbackenes Image aufpolieren: Kirche im Internet, SPD im Internet. Zahlreiche große Stände von Bonner oder niedersächsischen Ministerien, vom Bundespresseamt genauso wie von der Nürnberger Arbeitslosenanstalt. Ein Drittel einer Halle hat sich zudem die vormals staatliche bundesdeutsche Telefongesellschaft reserviert. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der ja auch nicht mehr trendy ist, schlägt mit Präsenz und auch der schieren Größe nach die Privatsender bei weitem. Und einen „Online-Zoo“ zum kostenlosen Internet-Surfen haben die Öffentlich- Rechtlichen installiert. „In unserem Zoo werden eben die Besucher selbst ausgestellt“, meint die jungen Frau an der Bar, die pausenlos Gratiskaffee für die Internet-Freaks ausschenkt.

Neuheiten gibt es natürlich auch auf der Cebit Home: Mini-Notebooks, superflache Fernsehbildschirme, das Fernsehen aus dem Internet, die digitale Audio-CD und nicht zuletzt das neue digitale Fernsehen mit seiner Vielzahl von Programmen sollen auf der Cebit Home dem zahlungskräftigen Endverbraucher nähergebracht werden. Neben den fünf Hallen voller Unterhaltungselektronik gibt es auf der Kinder-Cebit gegen einen Aufpreis von sieben Mark noch zwei Hallen zu besuchen, die schlicht den Namen „Entertainment“ tragen. Sie sind ihr Geld nicht wert, aber überraschenderweise eine Art Ruhepunkt. In der kleineren Entertainment-Halle 2 ist Videokunst installiert. Auf 48 Bildschirmen pulsieren Formen und Farben zu ungewohnt langsamen Techno-Klängen. Der Videokünstler sorgt für das erste Aha- Erlebnis auf dieser Konsummesse. Er schlägt einen Bogen von der Orgon-Theorie des Wilhelm Reich zur heutigen Discokultur der Raver. Seine Videokunst beeinflusse durch Klänge und Farben Atmung und Herzschlag des Betrachters. Obendrein bringe Techno-Musik den Herzschlag der Tanzenden zum Gleichklang, erklärt er. Der Mann will seine Ekstasekunst in Discos vermarkten.