Freie Heide: Unentschieden

Erstes Urteil gegen die Bundeswehr am Wittstock-Bombodrom  ■ Von R. Metzger

Berlin (taz) – 140 Quadratkilometer hügelige Äcker und Wälder sollen Deutschlands größter Bombenabwurfplatz werden, meint die Luftwaffe. Die Friedensbewegung und die Gemeinden vor Ort wollen die Landschaft zwischen Berlin und Schwerin wieder zu dem machen, was sie einmal war – idyllisch und frei zugänglich. 16 KlägerInnen wollten die Bundeswehr per Gerichtsbeschluß zwingen, die Nutzung des Truppenübungsplatzes zu stoppen. Am Donnerstag abend erging nach zweieinhalbjährigen juristischen Ermittlungen das erste Urteil zur Sache, doch es ist halbherzig.

Das Verwaltungsgericht Potsdam wies zwar die meisten Klagen zurück. Auf den Landkreis Ostprignitz-Ruppin, die Gemeinden und die Einzelkläger kommen daher Verfahrenskosten in Höhe von zusammen 80.000 Mark zu. Trotzdem war ihr Anwalt, der bekannte Berliner Verwaltungsjurist Reiner Geulen, zufrieden: „Das Gericht hat festgestellt, daß die seit 1993 andauernde Nutzung und Absperrung des Bombenabwurfplatzes Wittstock durch die Bundeswehr rechtswidrig ist.“ Tiefflüge unter 300 Meter Höhe und Bombenabwürfe sind damit untersagt. Die Bundeswehr darf in der Wittstocker Heide jetzt nicht mehr üben. Der Richter verdonnerte die Bundeswehr zu einem förmlichen Planungsverfahren. Dies kann samt Umweltverträglichkeitsprüfung Jahre dauern. Die Bundeswehr hatte hingegen argumentiert, daß sie nach Paragraph 21 des Einigungsvertrags ein Recht auf Weiternutzung habe. Der Übungsplatz war nach dem Abzug der Sowjettruppen im Jahre 1993 der Bundeswehr zur Verfügung gestellt worden. Der Einigungsvertrag bezieht sich jedoch in diesem Fall nur auf Anlagen der Nationalen Volksarmee.

Förmlich enteignen muß der Bund damit die betroffenen Personen und Gemeinden außerdem. Wegen der „Bedeutung der Landschaft, der Natur und der Gemeinderechte“ und der Eigentumsrechte kann eine solche Landbeschaffung nicht erfolgreich sein, hofft Anwalt Geulen.

Verwaltungsrichter Wilfried Hamm gestand drei Gemeinden, deren Gebiet zu einem großen Teil auf dem heutigen Übungsplatz liegt, zu, daß sie in ihrer durch das Grundgesetz, Artikel 28 garantierten Planungshoheit beeinträchtigt sind. Für die lärmgeplagten AnwohnerInnen hatte Richter Hamm allerdings kein offenes Ohr. Sie hätten die zu befürchtende Lärmbelastung nicht ausreichend begründet. Die Betroffenen halten das für einen schlechten Scherz. Ein ganzer Stapel von Aktenordnern hätte dazu dem Verwaltungsgericht vorgelegen, hieß es bei der Bürgerinitiative FREIe HEIDe.

Die Klagen wurden auch abgewiesen, weil die KlägerInnen laut Richter noch nicht in ihren Rechten beeinträchtigt wurden, sondern erst noch werden – dann nämlich, wenn die Bundeswehr ihre Einsätze von derzeit 200 auf geplante 3.000 im Jahr ausweitet. Dabei bedeutet ein Einsatz maximal zehn Anflüge, bis alle Bombenattrappen abgeworfen sind. Nach Jahrzehnten Lärmschäden durch tieffliegende Jagdbomber der Sowjets sollen die AnwohnerInnen nun warten, bis die Einsätze der Bundeswehr-Tornados erste Effekte zeigen.

Die Bundeswehr wartet noch die schriftliche Begründung des Urteils ab, will jedoch in die Berufung gehen, so gestern ein Sprecher. Betroffenenanwalt Geulen erwartet von der Luftwaffe, daß sie den Übungsplatz bis zum 31. Dezember räumt und alle Absperrunsschilder beseitigt. Wenn nicht, will Geulen eine Einstweilige Anordnung mit dem Ziel der Räumung innerhalb von zwei Monaten beantragen. Damit dürfte er jedoch nicht durchkommen. Richter Hamm hat immerhin die Klagen auf einen Nutzungsstopp zurückgewiesen.

Die BI FREIe HEIDe und Vertreter der Friedensbewegung richten sich auf einen zähen Streit mit der Bundeswehr ein. Schließlich wollen die Militärs den Anfängen wehren. Vom 3. bis zum 6. Oktober veranstaltet das Komitee für Grundrechte und Demokratie in Zusammenarbeit mit der BI vor Ort einen Kongreß in Wittstock. Dort soll eine erste Begegnung zwischen der bundesdeutschen Friedensbewegung und der Bürgerinitiative stattfinden.