Lidokino
: Revolution ist keine Dinner Party

■ In Venedig stimmt auch der Umkehrschluß: Loach und Jordan im Wettbewerb

Je mehr die große Erzählung in Mißkredit gerät, desto mehr Biographien werden gedreht. Dabei wird das Leben gern von seinem gewaltsamen Ende her aufgerollt; der Tod heiligt die Mittel. „Täterbiographien“ wie die von Oliver Stone über Richard Nixon, die sich eine gewisse Ambivalenz erlauben, sind daher rar. Neil Jordans Porträt des irischen Befreiungskämpfers Michael Collins, der im Unabhängigkeitskrieg 1922 erschossen wurde, lebt offenbar von einigen entscheidenden Ausblendungen. So behauptete die Sunday Times, Collins sei keineswegs, wie der Film insinuiert, vom künftigen irischen Präsidenten Eamon De Valera erschossen worden, sondern durch einen Querschläger aus der Pistole eines besoffenen IRA-Mannes. Den Briten paßte auch nicht, daß ihnen unterstellt wurde, den proirischen Spion Ned Broy (Stephen Rea) erschossen zu haben, obwohl der, ebenso wie ein anderes angebliches Opfer, mit besten Glückwünschen von der Times, ein hohes Alter erreichte. Nicht uninteressant ist auch die Tatsache, daß Collins (Liam Neeson) im Film seiner Verlobten (Julia „schmollt noch“ Roberts) treu ergeben ist, während er ein rechter Womanizer gewesen sein soll im wirklichen Leben. (Ob das einen Menschen unbedingt unglaubwürdig macht?) Diese Ausblendungen meint man in der Ästhetik wiederzufinden; Neeson ist stets pittoresk verschmutzt, auch Tageslichtszenen wirken irgendwie halbdunkel und jede Sequenz wie eine Pflichtübung aus dem Drehbuchseminar (gestalten Sie eine Szene, in der der Held an sich selbst zu zweifeln beginnt).

Daß Ken Loach Helden des Alltags wählt, macht die Sache nicht besser. „Carlas Song“ erzählt die Geschichte eines Glasgower Busfahrers (Busfahrer Berlins: schaut auf diesen Mann!), der sich in eine nicaraguanische Tänzerin verliebt, beim Stöbern in ihren Sachen auf ein Kriegstrauma stößt und beschließt, mit ihr in ihre Heimat zurückzugehen. Sie treffen dort ein, als die Contras gerade die letzten Sandino-Gesundheitshäuser und Schulen in Schutt und Asche legen. Die beiden suchen ihren Freund Antonio, über den die allerschrecklichsten Wahrheiten ans Licht treten, damit Carla nicht länger über ein Phantom grübeln muß. Auch so können Busfahrer sein. Wenn dann ein Ex-CIA-Mann, der zu den Sandinisten übergelaufen ist, schnaufend beim Schnaps erzählt, was sie den Contras alles Gruseliges beigebracht haben, weiß man auch hier wieder, was man zu empfinden hat, und der Busfahrer entschreitet ungeküßt.

Dagegen eröffnet die Kerouac-Biographie von Richard Lerner (1985, Retrospektive) komplexere Perspektiven: Wie damals, in den späten sechziger Jahren, also in der Dekade nach der Publikation von „On the Road“ Lyrik und Prosa im Fernsehen präsentiert wurden: indem der Moderator nämlich einige Jazz- Sentenzen auf dem Piano zwischen die Sätze streut, die Kerouac, zwischen Palme und Piano gelehnt, liest – wobei er sinatramäßig gut aussieht: blaue Cowboyaugen, Whiskeymund und Jochbeine, auf denen ein Mädchen Sonnenbäder nehmen könnte. In einer Talkshow während des Vietnamkriegs bellt er Ed Sanders an, der gerade die Fernsehnation fragt, warum es amerikanischen Jugendlichen so schwergemacht werde, zu protestieren: „Soll ich den Erdbeersaft auflecken, den ihr euch bei den Die-ins ins Gesicht schmiert? Oder was? Stellen Sie endlich Ihre Scheißfragen und lassen Sie mich in Ruhe.“ Burroughs ist sein übliches aristokratisches Selbst, und Ginsberg erzählt, daß ihn Kerouacs Antisemitismus nicht aus der Bahn warf; zumal er damit zu tun hatte, daß Kerouac sowohl von der New York Times als auch von der Zeitschrift Commentary heftig verrissen wurde.

Beim Mittagessen knallte ein italienischer Kollege, der bei seiner Vorstellung Wert auf die Bemerkung legte, er komme mehr von der Politik her, die aktuelle Ausgabe seiner Zeitung auf den Tisch und fragte uns vorwurfsvoll, ob wir denn die Meldung des Tages nicht gelesen hätten? Daß Hussein in Kurdistan einmarschiert sei und man mit einem Golfkrieg rechnen müsse, gegen den der erste ein Sonntagsausflug gewesen sei? Nein, hatten wir tatsächlich nicht. Betretene Gesichter, gemischte Gefühle. Vorwurfsvoll beäugte uns der Kollege aus der Politik. Feuilletongesockse! wird er gedacht haben, und als dann einige der Kollegen hereintraten, die rein äußerlich zum „Typ Künstler“ tendieren, mit Dreitagebart, Hut, Pferdeschwanz, Ray Ban, da half dann nur noch ein Besuch bei der restaurierten Fassung von Sergio Leones „Duck you, sucker“, der ja bekanntermaßen mit der Bemerkung beginnt „The revolution is not a dinner party“. Mariam Niroumand