"Der Widerstand wartet auf den Funken"

■ Wole Soyinka, Schriftsteller und Gegner des Militärregimes in Nigeria, fürchtet für seine Heimat das Schlimmste. Weil die Opposition gegen die Militärs bisher wenig erreicht hat, könnte sie aus Verzw

taz: Die Hinrichtung Ken Saro- Wiwas im vergangenen November erregte weltweites Aufsehen. Wie ist die Lage in Nigeria jetzt im Vergleich zu damals?

Wole Soyinka: Es ist alles noch schlimmer geworden. Die außergerichtlichen Hinrichtungen gehen weiter. Kudirat Abiola, die Frau des inhaftierten gewählten Präsidenten, wurde am hellichten Tag auf der Straße umgebracht. Wir kennen diesen Stil: Auch Chief Alfred Rewane, eine der wichtigsten Stimmen der Opposition, starb auf diese Weise. Die Morde wurden offensichtlich von Regierungsagenten begangen. Es gibt Verhaftungen, Folter, Geiselnahmen – die Zivilgesellschaft, wie wir sie einst in Nigeria gekannt haben, ist zusammengebrochen.

Kann Nigeria dann als Staat überhaupt noch überleben? Es herrscht Streit zwischen Nord und Süd, ethnische Minderheiten werden marginalisiert. Schon jetzt sagen manche Nigerianer: Laßt uns per Revolution trennen, was die Briten mit Gewalt zusammengeschmiedet haben.

Ich bin sehr pessimistisch. Aber zugleich treibt mich der Pessimismus an, denn die möglichen Entwicklungen sind schrecklich. Sollte Nigeria zerfallen, wäre das kein friedlicher Zerfall, sondern wie in Liberia oder Somalia. Die Junta und ihre Verbündeten scheinen das nicht zu merken. Sie scheinen zu denken, daß die Menschen eingeschüchtert genug sind. Es liegt in ihrem Interesse, die ethnischen Rivalitäten auszunutzen. Sie greifen zu ihren alten, schmutzigen, verachtenswerten und verräterischen Tricks, um das Volk zu teilen. Manchmal denke ich, daß der Schaden nicht mehr zu beheben ist. Aber wir kämpfen weiter.

Kann die nigerianische Opposition sich unter diesen Umständen überhaupt noch organisieren?

Sie ist gebeugt und geschwächt, aber sie hat nicht aufgegeben. Zur Zeit befindet sich die Opposition im Land selbst in einem Tief, im Ausland hingegen ist sie sehr stark und entschlossen. Der Widerstand im Land wartet auf einen Funken, um ihn neu zu beleben und wie beim Generalstreik 1994 zu zeigen, daß er in der Lage ist, alle Institutionen der Regierung zu lähmen. Damals dauerte der Streik etwa zehn Wochen. Der nächste könnte länger dauern.

Der nigerianischen Opposition wird zuweilen Mangel an Transparenz und Einigkeit vorgeworfen.

Ich weiß nicht, was Sie mit Transparenz meinen. Es ist nur logisch, nicht alle seine Karten zu zeigen. Wenn es um Fragen der Verantwortung und der Rechenschaft geht, sollte man genau sein. Meint man mit der Opposition die politische Klasse, stimmt der Vorwurf. Die Politiker sind eine Enttäuschung. Sie haben das Volk verraten. Aber ich meine mit Opposition die Demokratiebewegungen, die wirklichen Aktivisten. Leute, die sich einfach aufplustern und ein Amt anstreben, sind für mich keine Opposition.

Oppositionelle Aktivitäten in Nigeria selbst sind fast unmöglich geworden wegen der täglichen Festnahmen, Überwachungen und Tötungen. Was geht denn dann noch? Wie kann die Opposition in Nigeria gestärkt werden?

Na ja, ich kann Ihnen nur sagen, was die Opposition erzielen möchte – wie sie es erreichen will, weiß ich nicht. Die Opposition zielt auf eine Kampagne des massiven zivilen Ungehorsams. Zur Zeit ist die Opposition, auch die richtige Opposition, von der ich eben sprach, zersplittert; in vielen Bereichen ist sie führungslos, weil ihre Führer eingesperrt sind. Die Schwierigkeiten sind immens. Wir dürfen das nicht schönfärben. Aber der Tag der Abrechnung kommt. Und ich muß leider sagen: Je größer die Repression, desto gewalttätiger der Widerstand.

In Nigeria ist die Opposition in den Untergrund getrieben worden. Es bleibt nur noch die Opposition im Exil.

Das stimmt ja nicht. Die Opposition ist in den Untergrund getrieben worden, aber das heißt nicht, daß es nur noch im Exil Opposition gibt. Es gibt Verbindungen, es gibt Kontakte. Ich erinnere Sie daran, daß vor kurzer Zeit im ganzen Land Sprengsätze explodierten, in Armeekasernen, Hotels, Flughäfen, Polizeistationen. Das ist, was passiert, wenn man die Opposition in den Untergrund treibt. Es gibt Anzeichen einer unruhigen und verzweifelten Opposition, der die Kanäle friedlichen Widerstandes versperrt worden sind.

Herr Soyinka, Staatschef Abacha betrachtet Sie als Feind Nummer eins. Zeitungen sagen, Sie und Ihre Verbündeten sind für diese sogenannten Terrorakte verantwortlich und den Anschlag auf das Flugzeug, in dem Abachas Sohn starb. Was sagen Sie dazu?

Lassen Sie mich in die Geschichte zurückgehen. Während der Shagari-Regierung [1979 bis 1983, die letzte Periode ziviler Herrschaft in Nigeria; d.Red.] gab es eine Reihe mysteriöser Brandstiftungen. Öffentliche Gebäude gingen in Flammen auf. Oft war es so, daß dort, wo es Anschuldigungen ernsthafter Korruption und Geldschiebereien gab, die Buchhaltungsabteilungen brannten. Ein Journalist warnte: Schaut mal, da gibt es ein bestimmtes Muster, und wahrscheinlich brennt als nächstes das Gebäude der Telekom, weil es da gerade einen Skandal gibt. Und tatsächlich brannte das Gebäude der Telekom. Die Polizei verhaftete diesen Journalisten und beschuldigte ihn, das Gebäude in Brand gesteckt zu haben. Es war völlig absurd. Und das ist typisch. Das ist, was passiert, wenn Leute die Zeichen lesen und Warnungen aussprechen. Diejenigen, die gewarnt worden sind, machen die Propheten für ihre Prophezeiungen verantwortlich. So ist Nigeria.

Die Opposition verlangt ein sofortiges Ende des Abacha-Regimes. Wenn Abacha heute zurücktreten würde, wäre sie in der Lage, die Macht zu übernehmen?

Ich kann nur sagen, daß die Opposition einen Aktionsplan hat. Wir verlangen die sofortige Freilassung des gewählten Präsidenten und aller politischen Gefangenen. Der gewählte Präsident soll eine Übergangsregierung der Nationalen Einheit bilden und eine souveräne Nationalkonferenz einberufen, auf der dann Pläne zur Wiederherstellung der nigerianischen Nation als lebensfähige Gesellschaft präsentiert werden.

In der nigerianischen Exilgemeinde in Deutschland befinden sich nur wenige Frauen in der Opposition. Ist das ein allgemeines Phänomen? Wie können Frauen stärker einbezogen werden?

Wir können nur an die nigerianischen Männer appellieren, ihre Frauen von der Öde der täglichen Hausarbeit zu befreien. Aber Sie haben recht. Die Lage der Frauen in der Opposition ist sehr traurig. Man braucht eine Art von bewußter Mobilisierung. Stimmt.

Es scheint unmöglich zu sein, die Welt dazu zu bewegen, gegen Nigeria Sanktionen zu verhängen. Sind Sie enttäuscht?

Ja. Aber wir haben gelernt, uns nicht auf humanitäre Gefühle zu verlassen. Wir appellieren an das Eigeninteresse. Wir sagen: Sanktionen sind in eurem Interesse, denn ihr seid in Nigeria, um Geld zu verdienen, und dazu braucht man ein sicheres Umfeld. Es ist in eurem Interesse, uns bei der Wiederherstellung der Demokratie zu helfen, denn das ist die einzige Garantie für eine ungebrochene Fortsetzung eurer Aktivitäten. Interview: Peter Donatus