Jungunternehmer Von Martin Sonneborn

Einmal in den frühen 90er Jahren, als unsere Wirtschaft noch so richtig brummte, versuchten Herr Krähe und ich, unserem bis dato hochgradig kontemplativen Dasein eine bleibende Berechtigung zu verschaffen.

Nachdem die Gründung von Mitflugzentralen, Brezelvertrieben und illegalen Kneipen in Berlin-Mitte an unserer fast chronischen Lethargie gescheitert war, sahen wir keinen anderen Ausweg: Wir beschlossen, das „Büro für Kicker und Dosenbier“ zu eröffnen. Nächtelang zogen wir durch Kreuzberger Kneipen, immer auf der Suche nach einem brauchbaren Kickertisch. Diese Anfangsphase ging ziemlich ins Geld, jedoch ist Existenzgründen selten ganz billig. Schließlich bekamen wir die Adresse eines marktbeherrschenden Halbweltgauners und bald darauf einen Leonhardt 96er Turnierkicker (mit Holzgriffen!). Der marktbeherrschende Halbweltgauner bekam 1.000 Mark. Anschließend gingen wir daran, Eggers kennenzulernen. Der besaß einen unwirtlichen 12m2-Kellerraum an der Potsdamer Straße, den er für 170 Mark gemietet hatte, weil er im Osten wohnte und einen Anschluß für seinen Anrufbeantworter brauchte. Außerdem paßte Eggers zu uns. Das wurde uns klar, als wir erfuhren, daß er gerade einer Sekretärin der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät gedroht hatte, er würde sich auf der Stelle exmatrikulieren, wenn seine Hausarbeit nicht mindestens zwei Zensuren besser benotet würde.

Wir luden Hinz und Kunz sowie Leute aus dem Germanistik-Seminar „Kultbücher“ für donnerstags, 21 Uhr, ein. Herr Krähe und ich besorgten eine abgeblendete Glühbirne zur Beleuchtung – wir waren ja die Geschäftsführer! –, und Dosenbier brachte jeder selbst mit. Gespielt wurde ausschließlich Doppel. Einmal kam Lena mit ihrem Freund, den sie als Dichter vorstellte. Seinen Namen habe ich vergessen; wir nannten ihn nur „den Schweißer“, weil er so feuchte Hände hatte, daß nach ihm niemand an die Holzgriffe wollte. Er sagte, er sei erkältet, aber er schwitzte immer. Einem Gespräch zwischen „dem Schweißer“ und Lena konnte ich entnehmen, daß sie ihm die jung-intellektuelle Elite Berlins versprochen hatte. Wir trugen zwar alle schwarz, aber der Dichter war enttäuscht, das sah ich ihm an. Später kam regelmäßig eine Frau, die jubilierte, sie habe Nekromania soundsoviel gesehen, sie gehöre ab jetzt „dazu“. Vielleicht hätte ihn das getröstet. Noch später flog Herr Krähe aus seinem Untermietverhältnis und wohnte im Büro. Bücherregale und Bett gaben dem ganzen einen fast heimeligen Anstrich, und waschen ging er sich in der Staatsbibliothek, deren Toiletten morgens von mehr Leuten mit Kulturbeutel betreten werden als man denkt. Als Herr Krähe dann eine neue Wohnung fand, zerstritten wir uns mit Eggers und zogen mit dem „Büro“ nach Berlin-Mitte. Der Kellerraum war sowieso fast voll mit leeren Dosenbierdosen.

Wie die Faschisten uns den Kicker abjagten, wieso F. W. Bernstein dem „Büro für Kicker und Dosenbier“ seinen Antrittsbesuch nicht abstattete, wie Bernd Fritz vom FAZ-Magazin einmal reinschaute und wie wir eine Aktiengesellschaft gründeten, die in diesem Jahr zum ersten Mal Dividende ausschütten wird: dazu ein andermal.