■ Mit dem Kompromiß in dem VW-Streit haben Bonn und Brüssel Zeit gewonnen. Die Luxemburger Richter stehen vor einer Grundsatzentscheidung. Denn nirgends sonst in der EU darf soviel subventioniert werden wie in den neuen Ländern.
: Sind die Sachsen ärmer, als die EU erlaubt?

Mit der schriftlichen Verpflichtung, bereits von der EU genehmigte Beihilfen nicht auszuzahlen, hat die Bundesregierung im Streit um die VW-Subventionen die Notbremse gezogen. Über Wochen hatte die Auseinandersetzung das Klima zwischen Bonn und Brüssel schwer belastet. Da mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes frühestens in zwei Jahren zu rechnen ist, haben alle Beteiligten jetzt erst einmal Zeit. Bei einer einstweiligen Verfügung wäre die Bonner Regierung vermutlich schon in wenigen Wochen gezwungen gewesen, von VW die Rückzahlung der Subventionen zu verlangen.

Die Europäische Kommission hatte im Juli für den Aufbau der beiden VW-Werke in Mosel und Chemnitz insgesamt 540 Millionen Mark an öffentlichen Zuschüssen genehmigt, die Zahlung von weiteren 240 Millionen jedoch untersagt. Als Begründung führte sie an, daß der regionale Nachteil, den VW bei seinen Investitionen in der wirtschaftlich unterentwickelten Region in Kauf nimmt, mit 540 Millionen Mark reichlich abgegolten sei.

Nach den Europäischen Verträgen ist die Kommission für die Kontrolle öffentlicher Beihilfen zuständig. Sie soll den fairen Wettbewerb garantieren und verhindern, daß sich die EU-Länder gegenseitig mit Steuergeldern in einen Subventionswettlauf treiben.

Doch Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf ignorierte die Brüsseler Entscheidung und überwies 91 Millionen Mark mehr, als die EU-Kommission zugestanden hatte. Er bestreitet, daß die EU bei Subventionen in Ostdeutschland mitreden darf, und hat deshalb seinerseits eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg eingereicht. Biedenkopf beruft sich auf eine Klausel im Maastrichter Vertrag, nach der Subventionen gezahlt werden dürfen, um Nachteile auszugleichen, die durch die deutsche Teilung entstanden sind.

Die Bundesregierung ist seitdem in einer extrem ungemütlichen Lage. Nach den Europäischen Verträgen muß sie dafür sorgen, daß die europäischen Wettbewerbsregeln auch in Deutschland eingehalten werden. Das liegt auch in ihrem eigenen Interesse, weil sonst auch andere EU-Regierungen anfangen, ihre Unternehmen mit öffentlichen Beihilfen zu unterstützen. Und wer Subventionen bekommt, kann seine Produkte billiger anbieten und gefährdet damit Arbeitsplätze bei der Konkurrenz.

EU-Wettbewerbskommissar Karel van Miert bestätigte gestern, daß er in den letzen Tagen eine ganze Reihe von Anrufen aus allen EU-Ländern erhalten habe, die über den sächsischen Rechtsbruch nicht nur beunruhigt seien: „Was wird die EU-Kommission machen, wenn wir das auch tun?“ hieß es.

Mit der jetzt in Bonn beschlossenen Beihilfensperre für VW hat die Bundesregierung den offenen Konflikt erst einmal hinausgezögert. Die von der EU bereits genehmigte 540-Millionen- Mark-Beihilfe wird zum Teil von der sächsischen Landesregierung und zum anderen Teil von der Bundesregierung gezahlt. Da Sachsen zuviel überwiesen hat, will Bonn die letzte noch ausstehende Tranche über rund 100 Millionen Mark an Bundesmitteln so lange zurückhalten, bis die Luxemburger Richter entschieden haben.

Von VW war gestern nachmittag keine Stellungnahme zu bekommen. VW-Chef Ferdinand Piäch hatte eine Nachrichtensperre verhängt. Der Konzern hatte vorher gedroht, die Produktion ins Ausland zu verlagern, wenn die Gelder nicht fließen würden.

EU-Kommissar Karel van Miert erinnerte gestern daran, daß bereits 1994 die Beihilfen nur genehmigt wurden, weil VW zusicherte, damit die Arbeitsplätze in der Region zu sichern. Wenn VW sich jetzt zurückziehe, müßten sämtliche bereits gewährten Subventionen zurückgezahlt werden.

Bis zum Ende des Streits ist es noch ein weiter Weg. Sowohl Biedenkopf als auch die EU-Kommission wollen von den Luxemburger Richtern klären lassen, wie weit die EU bei Subventionen in Ostdeutschland mitreden darf. Der Verlierer dieses Streits steht jetzt schon ziemlich sicher fest: die Bundesregierung.

Wenn Biedenkopf gewinnt, ist Bonn künftig erpreßbar. Schon in der Vergangenheit haben Unternehmen für ihre Investitionen in Ostdeutschland reichlich Subventionen gefordert, die Bonn mit Blick auf die Arbeitsplätze nicht ablehnen konnte. Ob beim Stahlwerk in Eisenhüttenstadt, bei der Übernahme von Leuna durch Dow Chemical oder von Buna durch Elf-Aquitaine, es war jedesmal die EU-Kommission, die die Milliardensubventionen begrenzt hat. Ohne die europäische Wettbewerbskontrolle hätte Bonn viele Milliarden mehr zahlen müssen, ohne daß dadurch mehr Arbeitsplätze entstanden wären.

Schon deshalb gehen Fachleute davon aus, daß die Luxemburger Richter gar nicht anders können, als die volle Zuständigkeit der EU- Kommission zu bestätigen. Alles andere würde zudem die Grundlagen des europäischen Binnenmarkts gefährden. Wenn in Ostdeutschland nach Belieben subventioniert werden dürfte, könnte etwa die spanische Regierung gar nicht anders, als entweder auch ihrer Automobilindustrie mehr Geld zu geben oder für Produkte aus Ostdeutschland Zölle einzuführen.

Doch bisher profitierte die Bundesregierung davon, daß sich die EU-Kommission bei ihren Beihilfeentscheidungen für Ostdeutschland auf die Ausnahmesituation berufen und besonders großzügig gezeigt hat. Kein EU-Land darf soviel subventionieren wie Deutschland. EU-Kommissionspräsident Jacques Santer kündigte vor kurzem in einem Spiegel- Gespräch sogar an, daß die Großzügigkeit wegen der offensichtlich anhaltenden wirtschaftlichen Schäden durch die Teilung noch ausgeweitet werden könne. Doch das ist Politik in der Grauzone. Wenn die Luxemburger Richter klarstellen, daß die EU-Kommission die neuen Bundesländer sieben Jahre nach der Vereinigung wie jede andere EU-Region zu behandeln hat, muß die Kommission zwangsläufig ihre nachsichtige Haltung aufgeben. Alois Berger, Brüssel