Aus fürs Bauchradio

■ Der Mann, der den Gebührenrundfunk stürzte, verfranzte sich mit seinem bürgernahen Privatfunk "Hundert,6" im Seichten

Er flog fast neun Jahre ganz weit oben, er fing das Klima der Stadt ein – dort, wo die Luft am schlechtesten ist. Er hat den Mann von der Straße gemimt und sich an die Macht rangeschmissen, je schwärzer, desto lieber. Doch plötzlich war er „zu nah am Establishment“, wie er selbst erkannte. Nun ist Georg Gafron, 41, Chef des Berliner Privatsenders „Hundert,6“ von seinem Höhenflug zurückgekehrt.

Immer weniger Menschen wollten seine Sprüche aus der breiten Mitte hören. Im Frühjahr schließlich stürzte die Mediaanalyse (MA), jene Datensammlung, die alle Medien- und Werbeleute anbeten, Gafron vom Sockel: Nach neun Jahren war er nur noch Zweiter hinter RTLs Research-bestimmtem Musikhit-Radio. Der Markt hat's gegeben, der Markt hat's genommen. Zwar sind 100.000 Hörer auch nicht schlecht, doch ohne die Pressefrühstücke, auf denen er Markt- und Meinungsführerschaft verkündet, kann Gafron einfach nicht leben.

Deshalb kündigte er Mitte vergangener Woche zwei Dinge an: die Entlassung von gut der Hälfte des Personals und ein komplett neues Programmformat – Oldies von früh bis spät, Format- statt Bauchradio. Keine Direktübertragung aus Jubelberlin, kein Tête- à-tête mit Bürgermeister Diepgen – der neue Claim „Top Oldies, Top News“ die Chiffre einer Niederlage. Zumal das Format dem Programm seines Hauptkonkurrenten RTL abgeguckt ist. Doch RTL- Chef Bernt von zur Mühlen darf seinen Stuttgarter Oldie-Sender hier nur im Kabel verbreiten.

Einen Auf- und Abstieg wie der des Georg Gafron konnte es nur in Berlin geben. Einer, der aus der Kälte des Ostens über die Mauer kam, im Rundfunkmythos Rias das Mikrofon zu halten lernte, um schließlich aus dem neuen Medium Kommerzradio, das die Berliner Baumafia mit dem Jungfilmer Ulrich Schamoni gegründet hatte, eine Geldmaschine zu machen. Es ist schwer, den Aufstieg des kleinen Mannes, der sich mit Bürgermeister Eberhard Diepgen und dem bodennahen Gesamtberliner zugleich befreundet fühlt, in Gegenden zu erklären, in denen es noch normal auf dem Medienmarkt zugeht.

Denn in Berlin ist der Radiomarkt paralysiert. Hier zählt weder Gewiß- noch Gewohnheit, werden die Namenshüllen heute gefüllt und morgen verlassen; Sender mit neuem Namen, alten Programmen und neue Sender mit alten Namen. Und mancher, der einst einen Namen hatte, versteckt ihn, wie der SFB. Ohnehin scheinen im Äther nur noch die Frequenzangaben wichtig, als ob es keine andere Ortsbestimmung gäbe. Knapp dreißig Radiostationen gibt es heute in Berlin, Konzepte hat es kaum und Musikfarben nur dreieinhalb: Oldies, Softhits, Charts und Schlager.

Nun ist die Zeitenwende gekommen. Der letzte, der im Radio mehr wollte, als Geldverdienen, tritt ab. Radiomacher treten auf den Plan, die nicht mehr an das Medium glauben, nur an die Marktforschung. „Musikresearch ist die Erforschung von Gefühlen – unscharf formatierte Sender verhindern eine zielgruppengenaue Kommunikation“, sagt RTL-Chef Bernt von zur Mühlen.

Selbst der SFB, der sich jahrelang von Gafron bis zur Lächerlichkeit marginalisiert sah, begann nach langer Zeit zurückzuhöhnen. Intendant Günter von Lojewski fragte schon mal sacht, wie es denn jetzt noch mit Gafrons Lizenz stehe. Er wittert die Chance, den SFB aus seiner in Deutschland einmaligen Schwäche herauszuholen. Doch weniger das kommerzielle Begleitprogramm B2 verheißt Hörerfolge (das liegt hinter manchem Kulturradio), sondern journalistisch gemachte Programme wie das SFB-Stadtradio, dem in weitgehender Unabhängigkeit von öffentlich-rechtlicher Administration ein langsamer Aufstieg gelang. Ebenso das autonom geführte Inforadio von SFB/ORB oder das ORB-Jugendradio Fritz. Man wolle sich auf dezidiert öffentlich-rechtliches Radio zurückbesinnen, sagt SFB-Hörfunkchef Jens Wendland. „Programme“, so Stadtradiochef Florian Barckhausen, „die against all odds sind – die Renaissance des Radios als journalistisches Medium.“ B2, so einigten sich diese Woche die Hörfunkdirektoren von ORB und SFB, soll einem noch nicht näher spezifizierten Wortprogramm weichen, die Kulturwellen beider Häuser werden, unter neuem Namen, komplementär ausgerichtet: Das bisherige SFB3 als reines Klassikprogramm, die ORB-Wundertüte Radio Brandenburg als Wort-Einschaltradio.

Einzig bei der Berlin-Brandenburger Medienanstalt MABB, zuständig für die privaten Radios (die sich lange Zeit nur Kritik anhören mußte, weil sie stets nur die immergleichen Pop-Programme lizensierte) will niemand glauben, daß sich „Hundert,6“ bereits aus dem „publizistischen Wettbewerb verabschiedet“ hat. „Gafron“, so MABB-Sprecherin Susanne Grams, „das ist nicht der Mann, der die Flinte endgültig ins Korn wirft.“ Lutz Meier