Die Angst der Israelis vor den Fremden

Zehntausende Fremdarbeiter leben in Israel. Der Minister für Arbeit und Soziales will sie loswerden. Doch ihre Arbeitskraft wird gebraucht und vielen Israelis sind sie lieber als Palästinenser  ■ Aus Tel Aviv Ayala Goldmann

„Man meint ja, man ist in Afrika und nicht in Israel“, empört sich Israels Minister für Arbeit und Soziales. Auf den Straßen im Süden Tel Avivs, in der heruntergekommenen Gegend um den ehemaligen zentralen Busbahnhof, kommt sich Eli Jischai vor wie auf einem anderen Stern. Hier leben etwa 60.000 ausländische Fremdarbeiter, die meisten „illegal“ ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Nur wenige Israelis trifft man hier. Rumänisch, Russisch, afrikanische Dialekte, Thai, Philippinisch, Türkisch, Spanisch und Englisch werden hier gesprochen – Hebräisch nur selten.

Mit Bierflaschen in der Hand stehen die rumänischen Arbeiter um den Fernseher eines Straßencafés in der Neve-Schaanan-Fußgängerzone versammelt. Rumänische und israelische Fahnen wehen vor dem Lokal. Einer bietet an, sich für 15 Schekel (umgerechnet sieben Mark) mit seiner um den Hals gewundenen riesigen Schlange fotografieren zu lassen. Zwei Männer ziehen ihre Koffer durch die Straße. „Sex-Filme: Fünf Vorstellungen ohne Pause“, wirbt ein Schild, ein anderes auf rumänisch: „Bier für 3,50 Schekel“. Gruppen, fast nur Männer, stehen zusammen, diskutieren, machen Geschäfte. In einem Café hängt die türkische Fahne über dem Tresen. Auf der „Straße der hebräischen Legion“ trifft man keine Hebräer. Statt dessen schiebt ein schwarzafrikanisches Paar einen Kinderwagen durch die Mittagshitze. Zwei andere Schwarze tragen das Neue Testament unter dem Arm. Was sie in Tel Aviv machen? Auf solche Fragen haben illegale Arbeiter nur eine Antwort: „Dazu kann ich im Moment nichts sagen.“

Sie haben Angst. Seit Wochen schon spricht Minister Jischai für Arbeit und Soziales von der ultra- orthodoxen Schas-Partei davon, illegale Arbeiter aus Israel zu vertreiben. Vor einer Woche beschloß das Kabinett, jeden Monat 1.000 bis 2.000 illegale Arbeiter aus Israel auszuweisen. Jischai dachte ursprünglich sogar an Auffanglager, in denen die Arbeiter „bis zur Deportation“ gesammelt werden sollten. Doch „Deportation“ klingt nicht gut für israelische Ohren – das Kabinett nahm den Vorschlag nicht an.

Noch ist nicht klar, wie die Entscheidung überhaupt umgesetzt werden soll. Denn über die Anzahl der Fremdarbeiter gibt es keine genauen Statistiken. Etwa 100.000 Fremdarbeiter hat man legal ins Land geholt, doch das Innenministerium schätzt, daß auf jeden Legalen mindestens zwei Illegale kommen. Die Rumänen, Thailänder, Südamerikaner, Ghanaer, Nigerianer und Philippiner lösen für Israel ein drängendes Problem: den Bedarf an billigen Arbeitskräften.

„Lieber Fremdarbeiter als Araber“, meint Wilma, die im Süden Tel Avivs Wohnungen an ausländische Arbeiter vermittelt. „Die stechen einem wenigstens kein Messer in den Rücken.“ In der Nähe des zentralen Busbahnhofs leben die wenigen Israelis, die in der Gegend arbeiten, von den Fremdarbeitern. Sie vermitteln Wohnungen, richten Telefonzentralen ein. „Gesundheitsinstitute“ – sprich Bordelle – schießen wie Pilze aus dem Boden. „Ist immer noch besser, als wenn sie unsere Mädchen vergewaltigen“, meint Wilma, die als kleines Kind mit ihrer Familie aus dem Irak nach Israel eingewandert ist.

Ansonsten beklagt sie sich, daß die Fremdarbeiter das Geschäft verderben. „Seit 36 Jahren vermieten wir hier Wohnungen. Und auf einmal meint jeder junge Depp, er könnte mit uns konkurrieren. Wie der da drüben zum Beispiel“, sie zeigt auf die Wohnungsvermittlung gegenüber. „Wohnungen nur für Südamerikaner und Philippiner“ steht auf dem Schild am Eingang. Warum das, frage ich Wilma. „Weiß ich auch nicht“, meint sie, „die Philippinos gelten als besonders ordentlich. Wir vermieten jedenfalls an alle – außer an Rumänen, Russen und andere Osteuropäer, die machen Ärger und zahlen die Stromrechnung nicht. Und an Araber vermieten wir auch nicht – das fehlte ja gerade noch! Hier gibt es schließlich jüdische Frauen und Kinder. Wir wohnen ja auch nicht in arabischen Gegenden.“

Unter den Fremdarbeitern gibt es Rangunterschiede. So gelten die Rumänen als Säufer und sind bei vielen unbeliebt. Aber neben den Thailändern sind sie die einzigen, die einen legalen Status genießen. Philippiner werden wegen ihrer „ruhigen Art“ geschätzt – sie sind meist illegal und trauen sich nicht „aufzumucken“. Die meisten Israelis haben ein zwiespältiges Verhältnis zu den Fremdarbeitern.

Eli wartet in der Neve-Schaanan-Straße auf einen rumänischen Arbeiter, der in der Küche seines Cafés im Zentrum der Stadt arbeitet. Er hält viel von seinen Arbeitern: „Die Rumänen saufen zwar, aber sie schaden nicht, und sie arbeiten gut. Unter ihnen gibt es viele hervorragende Handwerker. Freunde von mir im Baugeschäft sind von den Rumänen begeistert. Früher hatte ich Palästinenser, die haben viel oberflächlicher gearbeitet.“ Eli profitiert von der Fremdarbeit, doch wohl ist ihm nicht dabei: „Wir müssen damit Schluß machen. Diese Mischung ist nicht gesund.“ Eli hat seine sieben Küchenarbeiter bei einer Firma für Arbeitskräfte „bestellt“ und bezahlt ihnen 14 Schekel (sieben Mark) die Stunde – für israelische Verhältnisse kein schlechter Lohn. Für Krankenversicherung, sagt er, sei die Firma zuständig. Viele Fremdarbeiter arbeiten unter schlechteren Bedingungen. Niemand zahlt für sie einen einzigen Schekel, wenn sie krank werden. Und oft behält der Arbeitgeber den Paß ein, damit sein Angestellter nicht weglaufen kann.

In den letzten Tagen erschienen in Tel Aviver Stadtzeitungen mehrere Artikel, die vor gefährlichen Krankheiten und Religionen warnen, die Fremdarbeiter angeblich nach Israel einschleppen. Allen voran Aids, aber auch Tuberkulose – und, was vielen noch bedrohlicher erscheint, angebliches Missionieren.

Im fünften Stock eines Hauses im Süden Tel Avivs hat eine kleine afrikanische Gemeinde ihren Gebetssaal. Ein durchschnittlicher, mit anderen Religionen nicht vertrauter jüdischer Israeli könnte hier einen schweren Kulturschock erleiden. Die „katholisch-charismatische Gemeinde für Wiedererweckung“ besteht ausschließlich aus Schwarzafrikanern.

Das Gebet besteht aus einem Wechselgespräch zwischen Prediger und Gemeinde. „Wer gibt euch schlechte Gedanken ein?“ fragt der Prediger. „Der Teufel!“ schreit die Gemeinde. „Schlagt den Teufel!“ fordert der Prediger. „Ja, schlagt den Teufel! Jesus besiegt den Teufel!“ antwortet die Gemeinde. Stellenweise betet jeder allein, fleht in höchster Lautstärke seinen Gott an, wirft sich auf die Knie. Der Prediger liest aus dem Matthäus-Evangelium. „Jede Pflanze, die nicht von Gott gesät wurde, muß ausgerissen werden.“

Josef, eines der Gemeindemitglieder, kam vor drei Jahren aus Nigeria nach Israel, „weil sich Gott mir offenbart und mich gerufen hat“. Die Aufgabe der Gemeinde hier sei es, für Frieden zu beten: „Die Araber müssen einsehen, daß Israel das auserwählte Volk ist. Wenn sie sich unterwerfen, wird es Frieden geben. Dann ist unsere Aufgabe erfüllt.“ Josef hat Frau und Kinder in Nigeria, doch davon will er nicht sprechen. Auch die Frage nach seinem Beruf ist fehl am Platz: „Ich bin hier um zu beten. Das genügt.“

Doch in der Nachbarschaft hat sich schon eine Gruppe gebildet, die für die Ausweisung der Gruppe kämpft. Vor allem religiösen Israelis ist das Christentum grundsätzlich unheimlich. Und obwohl man in Israel keine weitverbreitete Fremdenfeindlichkeit findet, sehen viele jetzt den jüdischen Charakter des Staates bedroht.

Einige illegale Arbeiter sind schon über zehn Jahre hier – so wie der Seemann Ray aus Liberia, der als 20jähriger nach Israel kam und sich seither mit Gelegenheitsarbeiten durchschlägt. Eine Arbeitserlaubnis hat er nie besessen. Am Strand von Tel Aviv trifft er sich mit afrikanischen Freunden. Eine Reggae-Band aus Äthiopiern, einem Afrikaner von der Elfenbeinküste und einem israelischen Sänger spielt. Auch junge Israelis kommen, tanzen barfuß. „Ich verstehe nicht, was die Israelis gegen Fremdarbeiter haben“, sagt Ray. „Früher war nichts los in der Gegend um den zentralen Busbahnhof. Wir haben wieder Leben in die Nachbarschaft gebracht.“ Auch die Angst der Israelis vor Missionaren kann er nicht nachvollziehen: „Ihr Judentum kann den Israelis doch niemand wegnehmen. Außerdem sind wir nicht alle religiös. Ich gehe zum Beispiel nie in die Kirche. Religion ist für mich nur Politik.“

Das offizielle Israel mischt sich bisher in die Nachbarschaften der Fremdarbeiter nicht ein. Die Verbrechensrate ist nicht höher als anderswo, die Fremdarbeiter gehen Konflikten aus dem Weg, und die Polizei läßt sich nicht blicken. In mehreren Jahren könnte sich die Politik des Wegsehens bitter rächen. Israelische Zeitungen verweisen immer wieder auf die Erfahrungen in Deutschland mit „Gastarbeitern“. Und die Tel Aviver Stadtzeitung Ha-lr zitierte abgewandelt das in Deutschland so bekannte Wort: „Wir holten Sklaven – es kamen Menschen.“