Der Biber beißt auf Stein

Fluß-„Instandsetzung“ im Biosphärenreservat Mittlere Elbe gefährdet den einzigartigen Auenwald. Südlich Magdeburgs ist die Elbe längst nicht gerettet  ■ Aus Roßlau Detlef Krell

Dem Biber geht es gut am Mittellauf der Elbe. Dicke Weidenstämme und uralte Eichen findet er am Ufer des behäbig fließenden Stroms, verborgene Wasserarme, wo er ungestört seine Dämme bauen kann. 460 Tiere leben im Unesco-Biosphärenreservat. Von hier aus erschließt sich der Elbe- Biber weite Einzugsgebiete von Elbe, Saale und Mulde. Fischen und Molchen bietet der flach ausgewaschene Kiesstrand eine wärmende Kinderstube. Tief über der saftigen Wiese dreht ein Reiherpärchen majestätische Runden. Ein Roter Milan steigt auf, ein Mäusebussard geht auf Jagd.

Die Elbe, einer der größten Ströme Mitteleuropas, ist zugleich einer der wenigen, die den Namen Fluß noch verdienen. Sie hat das Glück, über weite Strecken in ihrem natürlichen Lauf erhalten geblieben zu sein. Dort leben Tiere und Pflanzen, die anderswo vom Aussterben bedroht sind. Zwischen der Saalemündung und Muldemündung mäandert die Elbe durch den größten Auenwald Mitteleuropas. Eine Arche mitten in Sachsen-Anhalt, zwischen Dessau und Magdeburg, 117 Quadratkilometer groß, keine dreißig Kilometer entfernt von Wolfen und Bitterfeld. Und ein Bauplatz der Wasser- und Schiffahrtsdirektion.

Alle fünfzig Meter ragen Schotterhaufen wie ausgestreckte Zungen in den Strom. Zwischen diesen Zungen steht das Wasser trüb und still, davor hat es der eingezwängte Strom eilig, davonzukommen. Umweltschützer Ernst Paul Dörfler hat diese Baustelle zufällig entdeckt. Sie liegt bei Roßlau, auf einem verlassenen Truppenübungsplatz der Sowjetarmee, mitten im Biosphärenreservat Mittlere Elbe. Täglich rattern hier die Planierraupen und Bagger. Der fünf Kilometer lange, „verwahrloste“ Uferabschnitt wird bis 1997, wie es in der Sprache der Wasserwirtschaft heißt, „instandgesetzt“.

27 Schotterbuhnen links, 28 rechts, die Ufer mit dem Lineal gezogen und mit Steinen befestigt: deutsches Reinheitsgebot für die Bundeswasserstraße Elbe. Der Biber wird bald auf Stein beißen. Dörfler, Leiter des BUND-Elbe- Projektes, sieht Fluß und Auenwald akut bedroht: „Mit aller Macht und Kraft wird hier dem Fluß ein Korsett verpaßt. Damit fließt er schneller, reißt Sedimentgestein mit und wird, aus eigener Kraft, immer tiefer.“

Genau das wünschen sich die Binnenschiffer: Je tiefer die Elbe, desto größer die Lastkähne, die auf dem Fluß das ganze Jahr über verkehren können. „Die Bäume haben das Nachsehen: Sie vertrocknen, weil die für den Auenwald wichtigen Überschwemmungen immer seltener werden.“ Die Hochwasser gibt es dann einige Kilometer weiter stromab.

Das gestern unterzeichnete Elbe-Papier könnte nach Dörflers Ansicht die Untere Elbe nördlich Magdeburgs retten, nicht aber die Mittelelbe und ihre Uferwälder. Der Elbe-Seitenkanal soll dem Mittellandkanal angepaßt werden und den Schiffverkehr der Elbe aufnehmen. Auf dem Mittellandkanal kreuzen 2.000-Tonner mit einer Tauchtiefe bis 2,80 Meter. Der Verdacht liegt nahe, daß der von der Binnenschiffahrt betriebene Ausbau der Mittelelbe auf 1,60 Meter Tauchtiefe nur der Anfang eines gigantischen Strombauprogramms ist.

Die Elbe hat noch eine Eigenart, die sie von anderen Flüssen in Deutschland unterscheidet: Sie fließt auf einem weichen Sandbett. Mit einer durch den Flußbettausbau künstlich erhöhten Fließgeschwindigkeit wird sie das Sediment mitreißen, die zunächst gewonnene Tauchtiefe geht irgendwann wieder verloren, und es muß wieder gebaut werden – dann vielleicht doch eine Staustufe, um das Bett wieder zu beruhigen.

„Eine Schwäche des Elbe-Papiers ist, daß es nicht den sofortigen Stopp der Strombaumaßnahmen festlegt und kein Elbe-Gesamtkonzept fordert. Es ist ein Papier im Konjunktiv“, kritisiert Dörfler. Dessen Sorge um die Zukunft der Mittelelbe wird selbst im Bundesamt für Naturschutz, der Fachbehörde des Bundesumweltministeriums, geteilt. In der Zeitschrift Natur und Landschaft entwirft Alfons Henrichfreise ein Sofortprogramm zur Rettung der Uferwälder: Wiederaussetzen der Flußbaumaßnahmen, Schluß mit der Gehölzrodung an den Ufern, wissenschaftliche Untersuchung des Weiden-, Eichen- und Ulmenwaldes – sonst drohe die unwiederbringliche Zerstörung der einmaligen Landschaft.

Henrichfreises Alarm bleibt offensichtlich ungehört. Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) und die Arbeitsgruppe Umwelt der CDU/CSU-Bundestagsfraktion waren im Mai dieses Jahres entlang der Elbe auf Dienstreise. Der BUND hatte damals die PolitikerInnen aufgefordert, „sich entschiedener für den Schutz von Elbe und Saale einzusetzen“ und daran erinnert, daß eine Projektgruppe des Bundesforschungsministeriums die Ökologie der Elbe untersucht. „Statt die Ergebnisse abzuwarten, wird exakt nach den Plänen von 1936 weitergebaut.“

Vor 60 Jahren nämlich lief das Planfeststellungsverfahren für den Ausbau der Elbufer. Darauf berufen sich die Wasserbauer noch heute, wenn sie eine Umweltverträglichkeitsprüfung für ihre „Maßnahmen“, die doch lediglich als „Instandsetzung“ zu bewerten seien, ablehnen. „Damals“, sinniert Dörfler, „war die Elbe ein ganz anderer Fluß, lag sie ein bis zwei Meter höher als heute. Die Vielfalt der Natur muß für sehr viel Geld der Einfalt der Technik weichen.“