Zurückhaltende Fabelfossilien

■ Wort-Papier-Evolutionen: Jürgen Becker, Kay Rosen, Dörrie Piess, Jürgen Schön stellen in der Admiralitätstraße 71 aus

Zum Saisonauftakt der Galerien in der Admiralitätstraße konnten die Hamburger wie unter einer fürstlichen Trophäensammlung promenieren: Jürgen Schön aus Dresden hat Elke Dröschers „Kunstraum Fleetinsel“ mit einer Reihe überkopfhoch gehängter Machtobjekte ausgestattet. Statt der schloßüblichen Hirschgeweihe handelt es sich hier um Fossilien nicht existierender Wesen. Die papiergrauen Teile von seltenen Rochen, von abgefallenen Panzerschilden und versteinerten Büstenhaltern scheinen eine archäologische Sammlung von einem anderen Stern zu sein. Der als klassischer Steinbildhauer ausgebildete, 40jährige Künstler entwickelt seine mal sanft nach Kontakt in den Raum greifenden, mal stachelig aggressiven oder zurückhaltend verschlossenen Formen aus langwierig aufgebauten Lagen von verleimten Papieren, ein Prozeß, in dem das Objekt immer wieder umgebaut wird.

Schwieriger wird die Kunst im 1. Stock des Hinterhauses: Die Schriftbilder von Kay Rosen fordern eher Sprachverständnis heraus als Erinnerungen und Gefühle. Die US-amerikanische Künstlerin malt Wortmutationen mit Schilderfarbe auf Museumskarton. So wie das Wortspiel „S-HE, HE, HE-R“ die Dominanz des männlichen „HE“ schon in kleinsten Teilen der Sprache zeigt, sind auch die anderen 14 Tafeln und das große Wandbild zu entschlüsselnde „Short Stories“. „Wir gehen hier davon aus, daß wir gerne viel erklären“, sagt die Galeristin Helga Maria Klosterfelde. Jürgen Becker zeigt einen Mythos der modernen Kunstgeschichte: Palermo.

Die Arbeiten des 1976 mit nur 33 Jahren gestorbenen Meisterschülers von Joseph Beuys sind nur selten auf ihre tatsächliche Bedeutung hin zu überprüfen. Jürgen Becker hatte bis auf zwei Multiples die Editionen von 1970-1975 vollständig erworben. Es ist eine Kunst-Kunst, ein Arsenal von „Miniaturen“ und „Prototypen“. Hinter der Wand im Büro hängt wie in väterlichem Geist zurückgelassen der Filzanzug des Meisters Beuys. Ist diese fast komplette Zusammenstellung eher für einen Gesamtankauf durch ein Museum gedacht, kommt nebenan bei Dörrie Piess der gewöhnliche Sammler auf seine Kosten. Zehn Künstler der Galerie zeigen 75 „Arbeiten auf Papier“. Von farbig-malerischen kleinen Bildern über fragmentarische Skizzen zu Entwürfen minimalistischer, grauer Installationen lädt die Breite aktueller künstlerischer Möglichkeiten zum verweilenden Studieren ein. Hajo Schiff

Bis 26. Oktober, Di-Fr 13-18 Uhr, Sa 12-15 Uhr, außer: Dörrie Piess, 11-13 Uhr, 15-18 Uhr; Jürgen Becker ab 11 Uhr, Admiralitätstraße71