■ Vorschlag
: Musik für Zeitgenossen: Ensemble Recherche spielt im Konzerthaus

Daß für die meisten Zeitgenossen die zeitgenössische Musik ein Buch mit sieben Siegeln ist, hängt mit den sieben Grundbedingungen zum Gelingen solcher Musik zusammen. Ein Zeitgenosse müßte die Hoffnung auf Vergnügen fahren lassen, er dürfte nicht taub sein, müßte gelegentlich ein Konzert besuchen, wo es ein sinnvoll zusammengestelltes Programm gibt, das ein gutes Stück von einem guten Komponisten enthält, welches – jetzt kommt das Wichtigste – gut gespielt wird. Selten, ach zu selten kommt uns die Freude an... Aber die Himmelszeichen verheißen uns für heute, was die letzteren Punkte betrifft, Gutes, denn in der Konzertreihe „Zeitklänge“ beginnt ein neuer Veranstaltungszyklus. Wer sich von dem modischen und mittlerweile reichlich ausgeleierten Thema „Musik im Raum – Raum in der Musik“ nicht abschrecken läßt, findet eine exquisite Mischung von Stücken versammelt, angerichtet und ausgelöffelt vom Ensemble Recherche aus Freiburg.

Die Zusammenstellung ist recht bunt und allein dadurch ein erfrischender Kontrapunkt zu den unter Veranstaltern merkwürdig beliebten Gleiches-zu-Gleichem-Programmen. Die Stücke sind allesamt selten zu hören, da nur wenige Ensembles sie überhaupt bewältigen können.

Mathias Spahlinger hat 1993 ein Streichtrio namens „presentimientos“ (Vorgefühl) in die Welt gebracht, um diese vor sich selbst zu warnen. Merkwürdig, wie doch immer die leisen und zurückhaltenden Stimmen die beunruhigendsten Befindlichkeiten herbeiführen. An der Grenze zum gerade noch Hörbaren ist die Gänsehaut am leichtesten zu haben. Kaleidoskopisch ist die schiere Fülle an holzigen und drahtigen Geräuschen in Farbe und Form miteinander verquickt und mit derberen Passagen kontrastiert. Bruno Madernas „Musica su due dimensioni“ von 1957 ist das erste Stück der Welt, wo ein Instrument auf ein Tonband trifft und damit eine Urform dessen darstellt, was später zur live-elektronischen Musik wird. Tristan Murial liegt mit seiner Darstellung der „Dreizehn Farben der untergehenden Sonne“ von 1978 auf der „impressionistischen“ Linie französischer Musik, die von Debussy und Messiaen ausgeht, aber die Obertonstrukturen von Klangmischungen noch weiter verfeinerte.

Je ein Werk von Johannes Schöllhorn, der ein Fragment von Stefan Wolpe bearbeitete, und eines von Salvatore Sciarrino, dessen „Lo spazio inverso“ (Der umgestülpte Raum) ein Rätsel ist, das nur hörend gelöst werden kann, runden das Programm ab.

Das Ensemble Recherche findet allzu selten nach Berlin. Es ist bekannt dafür, den Nerv der doch so verschiedenen Stücke immer erschreckend genau zu treffen und die Herbheiten der Stücke durch schlanke, unpathetische Modellierungen in Klang und Ausdruck zu transzendieren. Und wenn solches gelingt, springen die sieben Siegel auf, und zeitgenössische Musik wird zur Selbstverständlichkeit. Frank Hilberg

Heute, 19.30 Uhr, im Konzerthaus Gendarmenmarkt, Mitte