Föten zur Verwertung freigegeben

■ Mediziner wollen in Hannover Fötalzellen auf Parkinsonpatienten übertragen

„Sind Sie bereit, Ihren Fötus zu spenden?“ Mit dieser Frage werden demnächst Frauen in Hannover, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen, konfrontiert sein. Denn wie jetzt bekannt wurde, hat die Ethikkommission an der Medizinischen Hochschule (MHH) vor zwei Monaten einem Forschungsprojekt zugestimmt, das die Transplantation fötaler Nervenzellen an Parkinsonkranke anstrebt. In der ersten Projektphase sollen menschliche Fötalzellen Versuchstieren eingepflanzt werden.

„Wir müssen jetzt zusammen mit Gynäkologen eine logistische Kette aufbauen“, erklärte der Neuropathologe Professor Gerhard Walter von der MHH. Mit welcher Frauenklinik die Mediziner zusammenarbeiten werden, ist nicht bekannt. Die Frauenärzte werden angeleitet, Abbrüche in der 6. bis 9. Schwangerschaftswoche „transplantationsgerecht“ durchzuführen, damit die Föten verwertet werden können. Für das Verpflanzen sind „frische“, möglichst wenig fragmentierte Föten erforderlich, um das millimeterkleine Mittelhirn herauspräparieren zu können. Um zu gewährleisten, daß mit dem Fötalgewebe keine Infektionen übertragen werden, müssen die Frauen zuvor auf verschiedene Krankheiten, unter anderem HIV und Geschlechtskrankheiten, getestet werden. Nach dem Transport in die MHH werden die Fötalzellen aufbereitet und dann Ratten ins Gehirn gespritzt. Die nächste Projektphase, eine klinische Studie an Parkinsonpatienten, wird „von uns begutachtet werden“, sagte Professor Rudolf Pichlmayr, Leiter der Ethikkommission. Die Transplantationen an Parkinsonkranke will der Neurochirurg Guido Nikkhah vom Nordstadt-Krankenhaus durchführen.

Weltweit wurden bis heute über 200 Parkinsonkranke mit Fötalgewebe experimentell behandelt. Der therapeutische Erfolg ist bisher sehr bescheiden geblieben. Bei einzelnen Patienten haben sich die mit der Schüttellähmung einhergehenden Bewegungsstörungen gelindert. Für eine Operation am Gehirn ist das Gewebe von etwa acht Föten nötig. Dies erfordert, daß mehrere Schwangerschaften im gleichen Stadium parallel zur Transplantation abgebrochen werden. Die Abtreibung verwandelt sich in eine medizinische Gewebeentnahme, sie wird zur Explantation. Sie orientiert sich nun nicht mehr nur am Gesundheitsinteresse der Frau, sondern wird auf den Forschungsbedarf und die Bedürfnisse des Gewebeempfängers nach einem „hochwertigen“ Transplantat hin ausgerichtet. Durch diese Güterabwägung werden gesundheitliche Gefährdungen der Frau hingenommen und mit dem Nutzen für dritte verrechnet.

Die Fötalgewebetransplantation operiert in der Bundesrepublik bislang im rechtsfreien Raum. Als Wegweiser für Forscher hat die Bundesärztekammer standespolitische Empfehlungen erlassen. Die Frage, ob diese neue Technologie überhaupt gesellschaftlich erwünscht ist, wird darin nicht gestellt. Es geht lediglich um das Wie des Verwertens von Föten. Gesetzlichen Handlungsbedarf sieht der Transplantationschirurg Pichlmayr nicht. Er weigert sich, zum zwei Jahre dauernden Diskussionsprozeß in der Ethikkommission, öffentlich Auskunft zu geben. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen will in ihrem – als chancenlos angesehenen – Entwurf für ein Transplantationsgesetz die Fötalgewebeübertragung untersagt wissen. In der Vorlage aus dem Gesundheitsministerium, die Ende des Jahres verabschiedet werden soll, taucht die Verpflanzung von Föten nicht auf. Ingrid Schneider

Von der Autorin ist im Campus Verlag, Frankfurt 1995, das Buch „Föten, der neue medizinische Rohstoff“ erschienen