Das wahre Zentrum Bremens heißt Huchting

■ Im Alten Ortsamt der Schlaftstadt tritt Andreas Fetchenhauer dafür den Beweis an

„Es wird zu untersuchen sein, ob Huchting nicht das regionale Zentrum vor der Gründung Bremens war“. So lautet die überraschende These, mit der die Besucher der Ausstellung „Huchting vor 2000 Jahren“ im dortigen Alten Ortsamt konfrontiert werden. Der Vorort im Bremer Süden ist viel mehr als eine langweilige Schlafstadt, das behauptet jedenfalls Andreas Fetchenhauer, Student der Sozialpädagogik und Hobby-Historiker, der für seine Arbeit im letzten Jahr den „Bremer Preis für Heimatforschung“ gewonnen hat.

„Angefangen hat das alles, als ich hier mal wieder über Äcker und Wiesen gelaufen bin“ erzählt der Student der Sozialpädagogik. „Dabei hab ich alles aufgelesen, was mir unter die Füße kam.“ Und das war nicht wenig: Neben Wohlstandsmüll wie Coladosen und Bierdeckeln hat Fetchenhauer inzwischen mehr als einen Zentner alte Tonscherben aus den Huchtinger Äckern gebuddelt. Aus dem wahllosen Sammeln wurde dabei nach und nach das, was die Archäologen eine „Begehung“ nennen: das systematische Absuchen der frisch umgepflügten Ackeroberflächen. Aus seinen Funden setzte sich für den 31jährigen, der selber in Huchting aufgewachsen ist, allmählich ein ganz neues Bild seines Stadtteils zusammen - Huchting vor 2000 Jahren: Durch das hügelige, von den Gezeiten der Weser noch nicht eingeebnete Gelände ziehen sich viele gewundene Wasserläufe. In den ausgedehnten feuchten Bruchwäldern an ihren Ufern haben sich schon einige Menschen angesiedelt, vor allem aber sind hier Elche und Wildschweine, Biber und Otter heimisch.

Obwohl dieser Blick auf ihren Vorort den Benutzern der Linie 6 und der mitten durch Huchting führenden Autobahn eher fremd sein dürfte, war die Ausstellungseröffnung am Freitagabend gut besucht. Über hundert Bremer, darunter Punks, Archäologen, Beiratsmitglieder und Stadtteilbewohner, probierten das vom Verein für lebendige Archäologie am Feuer zubereitete „Essen und Trinken wie vor 2000 Jahren“, bestehend aus Brot, Met und einer ziemlich ungesalzenen Bohnensuppe. Man mag zwar bedauern, daß Fetchenhauers Vitrinen und seine gut gestaltete Dia-Show keinen besseren Platz fanden als die schäbigen und heruntergekommen Räume des Alten Ortsamts. Andererseits aber ist gerade dieser Ort - in den wilden Sechzigern besetzt, dann als Jugendzentrum genutzt und seitdem ein Dorn im Auge manches ehrbaren Huchtingers - inzwischen selber ein Stück Stadtteilgeschichte und insofern dem Thema der Ausstellung angemessen. Auch das scheinbar zusammengewürfelte Ensemble aus Fetchenhauers geschichtlicher Dokumentation und den Arbeiten junger Maler und Bildhauer macht auf den zweiten Blick durchaus Sinn, denn die künstlerischen Arbeiten sind sorgfältig ausgesucht. Verbunden werden die disparaten Teile außerdem durch eine Arbeit des Bremer Archäologen mit dem schönen Namen Carl-Christian von Fick. Der Lackabdruck, den er von einem alten Wassergraben genommen hat, ist zwar als archäologisches Dokument gedacht, aber genausogut als Werk der zeitgenössischen Kunst lesbar.

Vor zahlreichen Huchtingern, die sonst so wohl nie aufeinandergetroffen wären, erläuterte Fetchenhauer schließlich seine provokante These vom „regionalen Zentrum“, die den Bewohnern dieses abseits gelegenen Vororts vielleicht sogar ganz neues Selbstvertrauen einzuflößen vermag: „Um die Jahrtausendwende haben sich die verzweigten Wasserwege des Bremer Beckens hier auf nur fünf Kilometer Breite verengt, und das zum letzten Mal vor der Nordsee. In Huchting bot sich also die letzte Möglichkeit, halbwegs bequem auf die andere Seite zu gelangen.“ Außerdem fand der junge Forscher neue Belege für die Vermutung, daß sich an der Stelle der heutigen Trabantenstadt früher ein wichtiger Versammlungsort der Germanen befand. Daß es in Huchting einmal ein „Hohes Thing“ gab, darauf deutet nicht nur der Ortsname hin, sondern auch der einzige große Hügel der Umgebung. Da er heute unter dem Parkplatz des Roland-Centers liegt, liegt der Verdacht nahe, daß die Manager der Gegenwart ihren „Konsumtempel mit Kundenparlament“ mit archaischem Instinkt genau an der Stelle errichtet haben, wo sich die Bremer schon vor eintausend Jahren versammelten. aro

“Huchting vor 2000 Jahren“, Altes Ortsamt, Huchtinger Straße 8, geöffnet 6.-23. September Fr, Sa, So, Mo 11-16.00 Uhr