Kampf dem Nieselregen!

Kriegsbegeisterte Ästheten: Das Sprengel Museum Hannover zeigt mit „Blast! – Vortizismus“ britische Avantgarde zwischen 1914 und 1918  ■ Von Harald Weilnböck

Jacob Epsteins Skulptur eines muskulösen Maschinenmenschen thront auf dem Dreifuß eines originalen Steinbruchbohrers. Mit gespreizten Beinen reitet der hagere Roboter sein Werkzeug, aus seinem Schritt ragt das bizarre Gerät, das auch ein Maschinengewehr sein könnte, schwarz und gefährlich hervor. Eine archaische Maske reckt sich verzerrt links nach vorn, das phallische Metall trommelt auf den Boden ein. Dabei umfängt der männliche Brustkorb den eigenen Nachwuchs aus Metall.

Der gewünschte Skandal war der Künstler- und Literatenvereinigung der englischen Vortizisten gewiß, die den Wirbel und Strudel (lat. vortex) zu ihrem Programm machte. In Malerei, Plastik, Holzschnitt, Photo-/Vortographie und Innendesign eiferten sie danach, Nietzsches Sprache der wilden und wahren Körper zu malen und zu schreiben. In politischer Hinsicht sowohl klassenkämpferisch als auch nordisch-elitär ausgerichtet, will sich diese Gruppierung in kein Links-rechts-Schema fügen. Denn trotz vehementer Gesellschaftskritik war sie von jener arroganten Verachtung für die „Herde“ des Volkes beseelt, wie es John Carey kürzlich in seinem Buch über den Haß der Intellektuellen auf die Massen dargestellt hat (s. taz vom 15.6.). Und weil sie sich auch militärisch als Avantgarde verstanden, fieberten sie revolutionär, kraftverliebt und bellizistisch nicht so sehr der Straße, wohl aber dem Ersten Weltkrieg und dem verheißungsvollen Fronterlebnis entgegen (der hervorragende Katalog zur Ausstellung im Sprengel Museum Hannover leuchtet das dazugehörige soziokulturelle Milieu Londons vor dem Weltkrieg aus).

Dennoch suchten die Vortizisten im Grunde den seltenen Frieden des „großen ruhigen Orts“ in der „energetischen Mitte“ des Wirbels. Und so wird sich Epstein nach dem katastrophalen Kriegserlebnis vor seiner zornigen Maschinenplastik ekeln und die Obszönität ihrer genauso nihilistischen wie aggressiven Kampfassoziation verwerfen; er entfernt den Ready-made-Bohrer und beläßt nur den geglätteten Torso. Die jetzt ausgestellte Rekonstruktion der Skulptur konfrontiert das Publikum mit allen gemischten Gefühlen jener frühmodernen und präpotenten Männlichkeit aus den von Karl Kraus dramatisierten „letzten Tagen der Menschheit“.

Freilich wetterleuchtete der kommende Kriegsgott seinerzeit auch deutschen Intellektuellen: Ein Ludwig Meidner zeigte sich in seinen Bildern und Graphiken noch weitaus sprengmeisterlicher und sexualisierter als die Engländer. Zum Dienst an der Waffe hingegen meldeten sich Otto Dix, August Macke, Franz Marc und andere gleichermaßen begeistert. So konnte es dann auch zur Ernüchterung kommen.

Ungebeugt kampfes- und streitsüchtig waren die Anfänge der Vortizisten, die sich um das Multitalent Percy Wyndham Lewis und den amerikanischen Literaten Ezra Pound sammelten. Sie hatten nicht nur den Geist der viktorianischen Kunstkonservativen von der Royal Academy verworfen, sondern sich als Männer aus einfachen Verhältnissen auch mit den gebildeten Rebellen der ästhetizistischen Upper-middle-class zerstritten. Dabei war ihnen der gemeinsame Gegner sicher: die puritanische Moral, die nostalgisch-geschmäcklerische Wohnzimmerkunst und die industriell serialisierte Großstadt lasteten schwer auf den Gemütern des Vorkriegs.

Die Antwort der Vortizisten war nicht Ästhetizismus, sondern die Identifikation mit der großstädtischen Gewalt, ihrer beschleunigten Gefahren und Energien. Von den französischen Post- Impressionisten und Fauves aufgeweckt, anfangs vom Futurismus und Kubismus inspiriert, gründeten sie das „Rebel Art Centre“. Dort war „die starke, männliche und unsentimentale Kunst“ gefragt. Als einzige der Avantgarden haben die Vortizisten allerdings auch Frauen zugelassen (Jessica Dismorr, Helen Saunders, Dorothy Shakespear). Sie wirkten nicht nur als Financieres, sondern auch als künstlerische Beiträgerinnen. In der martialischen Öffentlichkeitsarbeit der Gruppe mußten die Frauen jedoch ins zweite Glied treten, während sie im Salon als Gesellschafterinnen zu fungieren hatten. Es wurden Manifeste verfaßt, die Zeitschrift Blast herausgegeben, das zu milde englische Klima verflucht und „nordische Blizzards“ wie anderweitig Kriegerisches herbeibeschworen. Energie, Nüchternheit und Härte zielten auf eine Formsprache der kantigen, klaren Linie und der gewagten, aber abgegrenzten Farbfläche. Das Explosive des „Blast“, das Sprengung und Verfluchung zugleich bedeutete, drängte nach der Zersplitterung des Bildraums, der Auflösung aller Perspektive und der hämisch grinsenden Fratze.

Ganz so energisch wie die Futuristen des auch in London umtriebigen Marinetti wollte man sich in Großbritannien mit all seinem Fair play nicht gebärden – trotz oder gerade wegen des landeseigenen schwarzen Humors. Vertrauter mit Maschine–Technik–Geschwindigkeit und abgeklärter als die Italiener dominiert letztlich Kandinskys „Über das Geistige in der Kunst“ und manch andere Esoterik von theosophischer Provenienz. Die futuristische Explosion verkehrte sich den Vortizisten zur zentripedalen Implosion. Alles Künstlerische ist prästabilisiert von „einer Art Energie“ durchwirkt – immerhin von „etwas mehr oder minder Elektrischem, Radioaktivem“ (Pound, 1913).

So blieb das Fragmentarische der Farb-/Formkompositionen letztlich wohltemperiert und gut zentriert im Rahmen. Der stilistische Habitus ging zunehmend in Abstraktion über, blieb nicht frei von Manierismen und ließ doch meist noch den gegenständlichen Bezug erahnen. Als Folge des eigenartigsten Künstlerförderungsprogramms der Welt entstanden auch figürliche Großformate von Kriegs- und Industrieszenen, denn das britische Ministry of Information machte die Künstler simplerweise zu Official War Artists, selbst die Verwegensten unter ihnen. Auffälliger noch gibt es bei diesen so forciert auf Individualismus pochenden Vortizisten keine Einzelfigur. Immer sind Gruppen oder Massen entweder im nietzscheanischen Tanz oder im vitalistischen Krieg begriffen, und wo ein einzelner aufscheint, vernetzt sich seine kantige Kontur bis zur Unkenntlichkeit mit der urbanen Umgebung.

Vom real existierenden Krieg gebeutelt, zerbrach die kurzlebige Gruppierung an ihrer von der Wirklichkeit überholten Aggressionsästhetik. Dem bis zuletzt frontbegeisterten Gaudier zerriß eine Granate das Leben, etwa zur Zeit, als auf der anderen Seite der gleich junge Norbert von Hellingrath, Herausgeber des vulkanischen Hölderlin, umkam. Daß nach der katastrophalen Erfahrung alles wieder figürlich und gutmenschlich geworden wäre, trifft jedoch ausgerechnet auf Lewis und Pound nicht zu. Wenn sich der eine vorübergehend zum britischen Sprachrohr Hitlers macht, wird der andere Mussolini bis zum letzten Tag die Treue halten und per Radioagitation aus Rom die internationalen vatikanisch-jüdischen Finanzkomplotte beschwören.

Bis 3. November, Sprengel Museum, Hannover; ab 15. November, Haus der Kunst, München. Katalog bei Ars Nicolai, 48 DM, im Buchhandel, geb., 78 DM