„Bleiben Sie anständig, Herr Senator!“

Ist die Massenabschiebung sozialer Sprengstoff für Bosnien?  ■ Von Silke Mertins

Eine Welle frostiger Ablehnung und unverhohlener Empörung schlug Hamburgs Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) entgegen, als er sich am Dienstag abend der Diskussion um die Massenabschiebung bosnischer Flüchtlinge stellte. FlüchtlingshelferInnen, Betriebsräte, PolitikerInnen und Betroffene waren zu der Veranstaltung der ÖTV „Rückkehr – Rückführung - Abschiebung“ ins Gewerkschaftshaus gekommen, um zu hören, was Wrocklage zu seiner Verteidigung zu sagen hatte.

„Die Rückführung bosnischer Flüchtlinge ab 1. Oktober ist ein notwendiges Signal, auch zur Orientierung dieser Menschen“: Keinen Zweifel ließ er daran, daß er auch nach seiner Reise in das zerstörte Bosnien die Schonfrist für die 12.000 in Hamburg lebenden Flüchtlinge nicht bis zum kommenden Frühjahr verlängern will. Buhrufe. Die politischen Entscheidungsträger, mit denen er dort gesprochen hätte, erklärte Wrocklage, hätten ausdrücklich darum gebeten, die Flüchtlinge zurückzuschicken. Sie würden gebraucht, um den Aufbau-, Friedens- und Demokratisierungsprozeß in Gang zu setzen.

Buhrufe, die CDUlerin Karin Koop meldete sich zu Wort: „Ich war mit einer Gruppe Abgeordneter im Frühsommer in Bosnien“, sagt sie, „und wir haben nicht nur ein verlängertes Wochenende mit Honoratioren dort verbracht wie Sie, Herr Senator.“ Applaus. „Uns haben Politiker etwas ganz anderes gesagt. Nämlich daß die Rückkehr der Flüchtlinge aus dem Ausland den Demokratisierungsprozeß durch die dann entstehenden sozialen Probleme sehr belasten würde.“ Schon jetzt liege die Arbeitslosigkeit bei bis zu 90 Prozent. Schon jetzt könne man die Menschen nicht unterbringen, gebe es viele Flüchtlinge innerhalb Bosniens, fehle es an allem. Mit einer massenhaften und zwangsweisen Rücckehr entstehe sozialer Sprengstoff mit unabsehbaren Folgen. Koop: „Da werden dann schnell die Rufe nach der alten Ordnung wieder laut.“

Von der CDU ließ sich der sich gern als liberal und humanistisch gebärdende Innensenator nicht gerne links überholen. „Ihnen fehlt die Vision für den Friedensprozeß“, so Wrocklage: „Wie wollen Sie eine Wirtschaft ohne Menschen aufbauen?“ Schlechtes Argument: „Da sind aber doch schon so viele Menschen arbeitslos“, tönte es aus dem Publikum.

„Wir setzen bei der Rückkehr auf Freiwilligkeit“, wiederholte Innensenator Wrocklage ein ums andere Mal. Doch konnte er nicht eine einzige Maßnahme nennen, die zur freiwilligen Rückkehr motiviert. Denn die meisten Flüchtlinge, darin waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig, wollen gar nicht hier bleiben. Doch es gibt weder Rücckehrhilfen, noch Kredite, noch Aufbaumaßnahmen vor Ort. Aufbaupläne gibt es nicht einmal in Bosnien selbst.

„Die Flüchtlinge sind Gäste auf Zeit“, dozierte Wrocklage. „Das mag stimmen“, so Ulrich Zuper von der Arbeiterwohlfahrt, „doch wie gehen Sie mit Ihren Gästen um?“ Obwohl schon seit Anfang des Jahres allen Experten klar ist, daß eine Rückkehr in diesem Jahr kaum möglich sein wird, verschickte Hamburgs Innenbehörde seit März über 3000 Ausreiseverfügungen, forderte die Flüchtlinge zur Kündigung ihrer Wohnung und Arbeit auf. Nur um dann wenige Wochen später die Duldungen zu verlängern. 1500 Klagen von Betroffenen sind bereits anhängig. Von der verantwortungslosen Verunsicherung mal ganz abgesehen, empörte sich Gaby Gottwald vom Arbeitskreis Asyl, „was mich als Steuerzahlerin diese ständigen unsinnigen Anschreiben und die ganzen Klagen kosten!“ Habe der Innensenator keine bessere Verwendung für das Geld?

Still wurde es im Saal, als der Frankfurter Arzt vom Arbeitskreis „Trauma und Asyl“, Zeljko Cunovic, berichtete, was eine zwangsweise Rückkehr für die „große Zahl psychisch schwer verletzter Menschen“ bedeutet. Viele seien aus Scham, Schuldgefühlen und Mangel an muttersprachlichen Therapeuthen nicht einmal in Behandlung. „Wollen Sie diese Menschen im Winter in Zeltlager schicken?“ Sein Appell: „Bleiben Sie auch unter Druck anständig, Herr Senator!“