■ Kurt Scheels Lichtspiele
: König der Peniden: James Cagney, der Angeber

Er war eine Art König der Peniden – ein kleiner Mann, dessen ganzer Körper wie permanent eregiert wirkte, berstend vor Energie: James Cagney, 1899 in New York geboren, vor zehn Jahren gestorben. Die ARD widmet ihm zur Zeit eine Retrospektive, und so habe ich in den letzten Monaten viele seiner schönsten Filme noch einmal sehen können.

Cagneys beste Zeit waren die dreißiger und vierziger Jahre. Berühmt wurde er als „The Public Enemy“ (1931). Weitere große Gangsterrollen hatte er in „Angels With Dirty Faces“, „The Roaring Twenties“ und „White Heat“.

Sein Markenzeichen war die angespannte Aggressivität: Jemand muß ihn nur schief angucken, und schon holt er zu einem wilden Schwinger aus, wobei ihm dann häufig genug seine Freunde in den Arm fallen und den Schlag verhindern, was dem Theatralischen, Irisch-Angeberischen der ganzen Aktion oft eine komische Note verleiht. Neu und nicht unbedingt komisch aber war, daß Cagney seine Hand auch, horribile dictu, gegen Frauen erhebt: In der berühmten Szene aus „Public Enemy“ drückt er seiner Freundin voller Wut eine Grapefruit ins Gesicht. Als ich das als kleiner Junge sah, war ich schockiert, und bis zum heutigen Tage erfüllen mich Grapefruits auf dem Frühstückstisch mit Unbehagen...

Lieber aber noch als seine Gangsterfilme sind mir Cagneys Komödien. In „The Bride Came C.O.D.“ (1941) hat er endlich einmal eine Partnerin, die ihm gewachsen ist: Bette Davis. Beide versuchen permanent, den anderen auszubremsen bzw. ihm die Szene zu stehlen, was unentschieden und folgerichtig im Bett endet: If you can't beat them, join them. Daß die besten Hollywood-Komödien – denken Sie nur an „Bringing Up Baby“ – die Beziehung zwischen Mann und Frau als Krieg der Geschlechter darstellen, mag zwar dem Vor- Schein des Utopischen im Sinne Ernst Blochs nicht so ganz entsprechen, ist aber insofern vielleicht der adäquate Ausdruck des Falschen im Falschen, als die Verhältnisse, wem sage ich das, nun einmal nicht so sind. Auf jedem Fall aber ist es sehr komisch, und einen Lacher soll man, laut Lubitsch, nie verachten.

Boy meets girl; boy verliert girl; boy findet girl wieder. So lautet das Erfolgsrezept für Liebesgeschichten, erklären die Drehbuchautoren Cagney und Pat O'Brien ihrem Produzenten, und der ist begeistert von diesem Geistesblitz: Drehen wir doch einen solchen Film, und heißen soll er „Boy Meets Girl“! Und so heißt denn auch der Film aus dem Jahre 1938, in dem dies erzählt wird, und er macht sich nicht nur über tumbe Produzenten und größenwahnsinnige Regisseure lustig, sondern zeigt uns auch, wie es sich gehört, die auf dem Studiogelände umherradelnden Indianer, Piraten und römischen Legionäre, eine verführte Unschuld und ihr Baby, das dem arroganten Cowboy- Star die Show stiehlt, und nicht zuletzt ein entzückendes Tänzchen unseres Drehbuchschreiberpärchens, das in nichts den schönsten und verrücktesten Tanzeinlagen der Marx Brothers nachsteht.

Was insofern kein Wunder ist, als auch Cagney vom Vaudeville kommt und sich ab 1920 als „song-and-dance man“ auf Broadwaybühnen sein Geld verdiente (einige Jahre betrieb er sogar mit seiner Frau die „Cagney School of Dancing“). Seine Frau war ein „winger“, er war ein „hoofer“, und demzufolge sah ihr Steptanz elegant, astairisch aus, seiner aber, wie der Name schon sagt, war pferdemäßig und holzschuhtanzartig; „eccentric dance“ nannte man das, und in „Yankee Doodle Dandy“ (1942) kann man es genau studieren: Der Oberkörper ist ganz steif, die Arme hält Cagney halb angewinkelt, locker, als hingen sie an Fäden – die ganze Person wirkt wie eine Marionette, nur die Beine sind beweglich, aber maschinenartig, wie aufgezogen.

Vielleicht kann man es so sagen: Während Astaires Eleganz die Schwerkraft aufhebt (im Hegelschen Sinne), sie so charmiert, daß sie sich für einen Moment selbst vergißt und er ihr ohne Anstrengung auf der Nase herumtanzen darf (und Gene Kelly mit Energie und Anstrengung die Schwerkraft zu überwinden trachtet), ist Cagneys Tanz eine Inszenierung der Schwerkraft: Wie eine Puppe taumelt er an ihren Fäden über die Bühne, eine Mischung aus Grazie und Ungeschick; das ist komisch, aber auf Dauer auch ein bißchen langweilig, wie ein endloser Witz; keine Verzauberung, und „Yankee Doodle Dandy“, wofür Cagney den Oscar bekam, ist denn auch nicht der große Film geworden, den er sich erhoffte.

Das ist viel eher „The Strawberry Blonde“ (1941), jedenfalls für mich, bei dem Raoul Walsh Regie führte. Die komische und rührende Geschichte eines Dentisten (!), der sich in eine kapriziöse rothaarige Schönheit verliebt (Rita Hayworth), die aber einem fiesen Erfolgsmann (wunderbar schleimig: Jack Carson) den Vorzug gibt; und unser Zahnarzt muß mit einer netten Krankenschwester (Olivia de Havilland) vorliebnehmen. Aber keine Sorge, am Ende erkennt Cagney, daß er den Glückstopf bekommen hat, er zieht seinem Widersacher die Zähne und vermerkt erleichtert, daß die Erdbeerblonde nur noch zetern und keppeln kann, verprügelt einige arrogante Yale-Studenten und geht fidel mit seiner Frau zum Tanzvergnügen von Schultz' Band – „The End“.

Aber der Film ist noch gar nicht zu Ende: „One moment please“ sagt eine Inschrift, und das Management bittet das verehrte Publikum („auf vielfachen Wunsch“), das schöne Titellied mitzusingen: „All right, folks, let's go!“

Und dann erscheint der Text auf der Leinwand, ein irischer Suffkopptenor beginnt zu knödeln, und wir alle singen mit: „Casey would waltz with a Straw- berry Blonde, and the band played on ...“ Kurt Scheel