Von Helfern und Waterlords

Was nützt Entwicklungshilfe? Wo Wasser rar ist, hat Macht, wer über Wasser verfügt, und Brunnenbau durch Fremde ist ein politischer Akt. Szenen aus Senegal  ■ Von Erik Schadde

Die Temperatur steigt mit jedem Kilometer, den man in das Kontinentalplateau vordringt. Hier, im Inneren Senegals, verdrängen die heißen Sahara-Winde die Meeresbrisen der Atlantikküste.

Kurz vor Tambacounda, der Hauptstadt der Region Ostsenegal, hat sich eine große Menschenmenge unter einem Wasserturm versammelt. Frauen warten mit bunten Plastikbecken, ein Mann mit gelbem T-Shirt füllt die Wannen mit Wasser aus einem schwarzen Schlauch, der durch ein Rohrsystem mit dem Wasserturm verbunden ist. Ein anderer kassiert Geld. Im Hintergrund knattert die Dieselpumpe, die den Wasserturm füllt.

Vor drei Jahren, erklärt der 33jährige Dorfkomiteevorsitzende Alione Ba, installierten japanische Entwicklungshelfer in diesem Dorf namens Malem Niani die Pumpe mit dem hohen Fördervolumen von 50 Kubikmeter pro Stunde und diesen Wasserturm. Danach gab es so viel Wasser, daß es sogar möglich war, den Überschuß an die Nachbardörfer zu verkaufen. Bis zu zwanzig Kilometer täglich legten Frauen aus der Umgebung mit ihren Töchtern zurück, um Wasser zu holen.

Doch dann sackte die auf dem Bohrschacht sitzende Pumpe ab. Die Anlage brach zusammen. So begannen die Dorfbewohner, ihre alten, inzwischen unbenutzten Brunnen zu reaktivieren.

„Wir sagten den Japanern Bescheid“, erzählt Alione Ba. „Und sie schickten auch ein Expertenteam, das sich das Bohrloch genau anguckte. Doch seitdem haben wir nichts mehr von ihnen gehört.“

Das Dorfkomitee wollte daraufhin eine neue Pumpe anschaffen und wandte sich an die Regionalbehörde. „Aber dort gibt es überhaupt kein Geld für Reparaturen. Erst als wir öfter gedrängt haben, konnten sie uns schließlich eine billige alte Pumpe vermitteln.“ Die fördert nur zehn Kubikmeter pro Stunde statt fünfzig. Der japanische Wasserturm wird nicht voll. So reicht der Druck nicht aus, um die Wasserleitungen im Dorf zu füllen. „Die vom Ministerium haben uns gesagt, wir sollen warten. Doch wir warten jetzt schon seit Monaten, und nichts passiert. Die neue Pumpe verbrennt viel mehr Benzin als die alte und fördert trotzdem nur ein Zehntel soviel Wasser. Jetzt nehmen wir von jedem Geld und hoffen, eines Tages genug für eine neue Pumpe zusammenzuhaben.“

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Seit ausländische Entwicklungshelfer in Senegal Brunnen bohren, gibt es vielerorts „Waterlords“: Einflußreiche Leute im Dorf verkaufen das Wasser an die eigenen Dorfmitglieder. Denn Bohrbrunnen sind eine Kapitalinvestition. Wer schon Einfluß hat, gewinnt durch die Kontrolle über so ein Projekt noch mehr Einfluß, und wer reich ist, wird noch reicher.

In Lulane, einem Dorf in der Region um Thiès zwischen Tambacounda und der senegalesischen Hauptstadt Dakar, steht ein Wasserhahn, der an das öffentliche Netz angeschlossen ist. Pro Wanne muß der Hüter des Schlüssels zum Wasserhahn 10 CFA-Franc (3 Pfennig) verlangen und an die Behörden abführen. Zehn bis fünfzehn Wannen benötigt eine Familie am Tag.

„Früher stand ich frühmorgens auf, um Wasser zu holen und das Frühstück vorzubereiten“, erzählt die 44jährige Véronique. „Dann sammelte ich Brennholz, um es in die Stadt zu bringen und dort auf dem Markt zu verkaufen. Es ist eine schwere Arbeit, das ganze Holz auf dem Kopf bis in die Stadt zu tragen. Abends kam ich mit 300 CFA-Franc (1 Mark) nach Hause, bereitete das Essen, wusch die Wäsche, kümmerte mich um die Kinder – und das jeden Tag.“

Für 300 CFA-Franc kriegt man in Thiès auf dem Markt gerade mal drei Kilo Hirse – oder aus dem Dorfhahn dreißig Wannen Wasser. Die Erdnuß- und Maniokfelder, die Véroniques Mann bewirtschaftet, werfen wenig Gewinn ab. Wenn er in der Trockenzeit nach dem Verkauf der Ernte keine Saisonarbeit findet, gehen die Reserven zur Neige, und Véroniques Geld wird überlebenswichtig.

Inzwischen ist Véronique Mitglied in einer Frauengruppe, die aus eigenen Ersparnissen und Beiträgen einheimischer Entwicklungshilfegruppen einen Fonds angelegt hat. „Mit diesem Fonds konnten wir dann den Frauen der Gruppe Geld leihen“, erzählt Véronique. „Sie haben damit entweder Produkte der Männer wie Korbwaren aus Palmblättern gekauft und in der Stadt weiterverkauft, oder sie haben Ferkel gekauft, großgezogen und nach einem halben Jahr mit Gewinn an die Metzger abgegeben.“ Das hat das Leben ein wenig verbessert. Ein paar Kinder mehr können zur Schule gehen. Denn während die Männer zusätzliches Einkommen in den Konsum stecken, investieren Frauen in die Familie.

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Im „fernen Osten“ Senegals, dem Bezirk Boundou, geht es auch anders. Halbstaatliche Volontärorganisationen bauen moderne Schachtbrunnen, die kein Benzin fressen, sondern an denen das Wasser auf traditionelle Weise über Kurbeln mit der Hand oder mit der Hilfe von Eseln geschöpft wird. Daraus kann kein einzelner einen Mehrwert schöpfen.

In Goudiry, Hauptstadt des Boundou, lebt der deutsche Entwicklungshelfer und Brunnenbauer Edmund Taube in einer steinernen Rundhütte. Nebenan lebt ein Franzose; beide arbeiten für die französische Organisation AFVP („Französischer Freiwilligenbund für den Fortschritt“). In dreißig Meter Tiefe ist auf dem AFVP-Gelände gerade ein Bauteam dabei, einen Brunnengang in die wasserführende Schicht vorzutreiben. Die AFVP fungiert als Auftraggeber für die Brunnenbauer, die in einer privaten Teilhabergesellschaft organisiert sind, und stellt auch das Produktionskapital: Lastwagen, Kompressoren, Preßlufthämmer, Winden, Betongußformen.

„Wir hätten schon Leute, die das machen könnten“, sagt einer der senegalesischen Arbeiter. „Aber wir haben kein Geld dafür. Die Ausrüstung ist zu teuer. Wir haben keine Lastwagen, keine Bohrtürme.“ Und die wären dafür nötig. „Die Technik des Schachtbrunnens ist nicht unsere hier“, erklärt der senegalesische Betreuer Bernard Boubane. „Früher versuchte man, die in der Trockenzeit austrocknenden Brunnen nachzugraben. Das ist mühsam: Man kommt immer nur ein bis zwei Meter in die wasserführende Schicht hinein, das Wasser bleibt brackig und muß eigentlich gefiltert und gekocht werden, bevor es genießbar ist.“

Aber wie haben die Leute hier dann überlebt, bevor sie Lastwagen und Bohrtürme hatten?

Boundou galt immer als Niemandsland. In der Kolonialzeit war es für französische Verwalter ein Ort der Verbannung. Hier wohnten hauptsächlich Peul-Nomaden. Ihre Strategie gegen Wasserknappheit war nicht Nachgraben, sondern Beweglichkeit: Bis die Brunnen ausgetrocknet waren, hatten sie sich schon längst mit ihren Herden in feuchtere Regionen begeben.

Die Gründung der unabhängigen Staaten Senegal und Mali 1960 schuf eine neue Staatsgrenze, und die Regierungen wollten die herumziehenden Peul seßhaft machen. Neue Brunnen wurden gebohrt, die Bevölkerung und der Tierbestand wuchsen rasch, zumal viele Jüngere nach Frankreich auswanderten und ihr Geld in Großherden anlegten – gefördert von den Regierungen, die auf den Fleischexport setzten.

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Als in den 70er Jahren die große Dürre hereinbrach, starben in Boundou wie überall im Sahel Menschen, Tiere verendeten. Die Frage, warum Boundou heute Entwicklungshilfe braucht, ist also leicht zu beantworten: weil europäisierte Eliten fremde Lebensweisen importierten, die technisch wie finanziell auf Dauer von Hilfe abhängig bleiben.

„Hilfe zur Selbsthilfe“ wird da schnell zur systematischen Lüge. Im Peul-Dorf Mbake Nabe ist der Brunnen in einem miserablen Zustand. Eigentlich soll er so funktionieren, daß ein Esel im Kreis läuft und damit zwei Eimer im Brunnenschacht abwechselnd auf- und absteigen läßt. Heute stehen die dazu errichteten Masten mit Umlenkrollen verwaist in der Landschaft. Statt dessen treibt ein Junge einen Esel an, der den Eimer direkt aus dem Brunnen zieht; dann löst der Junge die Schnur und läßt sie durch den Sand an den Brunnenrand zurückrutschen, gezogen von dem wieder herabfallenden Eimer. Am Brunnenrand fängt ein zweiter Junge die Schnur auf, damit sie nicht ganz hereinfällt. Dann trottet der erste mit dem Esel zurück, um die Schnur erneut festzumachen, und der Esel darf wieder ziehen. Bei jeder Aktion fällt mit der zurückrutschenden Schnur Sand in den Brunnen, so daß er innerhalb weniger Jahre versanden wird.

Man habe das System etwas modifiziert, erklärt der 53jährige Hirte Husseini Djeng, der, auf einen Stock gestützt, unter einem Baum steht und zuschaut. Die ursprünglichen Seile seien nämlich gerissen. „Das Seil, das wir brauchten, kostet 15.000 CFA-Franc“, sagt er. „Um das aufzubringen, müßte jemand ein Rind verkaufen. Aber wer ist dafür zuständig?“

Eine verständliche Frage. Denn nur wenige hundert Meter entfernt im selben Dorf hat die AFVP einen zweiten Brunnen gebaut. „Du mußt es so sehen: Wir haben die Mittel bewilligt bekommen, und die werden wir dann auch verbraten“, erklärt Taube. „Es ist teilweise gar nicht so leicht, Dörfer zu finden, die von uns einen Brunnen wollen, da wir einen Eigenbeitrag von einem Drittel der Kosten vom Dorf verlangen. Es gibt andere, zum Beispiel Unicef, die laufen herum und verschenken Brunnen.“ Auch Hilfe ist ein Markt.

Zu dem zweiten Brunnen kam Mbake Nabe dadurch, daß ein einflußreicher Politiker den „Eigenbeitrag“ spendete, um eben den Ruhm einzuheimsen, dem Dorf einen zweiten Brunnen besorgt zu haben. Kein Wunder, daß sich die Dörfler nicht zuständig fühlen. Das alles hat kuriose Folgen: Die Tiere des Hirten Husseini Djeng weiden mitten in einem Gemüsegarten, der vor einigen Jahren ebenfalls von der AFVP als Frauenprojekt angelegt wurde.

Die Frauen seien schuld, da sie den Zaun nicht reparierten, verteidigt sich Djeng. Er könne nicht besser auf seine Tiere aufpassen. Aber könnten nicht die Männer den Frauen helfen, den Zaun zu reparieren? Schon, meint er – aber nur gegen Bezahlung. Die Frauen aber haben an einem solchen Geschäft wenig Interesse; sie kümmern sich kaum noch um den Garten, weil die Tiere alles wegfressen. Entwicklungshilfe als Theater.