■ Bereicherten sich Schweizer Banken an der Nazibeute?
: Von der Vergangenheit eingeholt

Goldbarren und Banknoten stand die Schweizer Grenze im Zweiten Weltkrieg weit offen – während jüdische Flüchtlinge in den sicheren Tod zurückgeschickt wurden. Vom Krieg profitieren und abkassieren, so lautete das Motto bis Kriegsende: In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde es durch Schweigen und Mauern abgelöst. Dann begann der Kalte Krieg und deckte alles gnädig zu. „Bis in die achtziger Jahre beschäftigte sich vornehmlich die kritische Linke mit der Rolle des Schweizer Finanzplatzes, während das politische und akademische Establishment die brisante Thematik mied“, schrieb Gian Trepp im Juni in der Zürcher WochenZeitung.

Vor gut einem Jahr wurde die Schweiz schließlich doch noch von ihrer unverarbeiteten Vergangenheit eingeholt. Zunächst beschuldigte der Jüdische Weltkongreß die Schweizer Banken, sie hätten nach dem Krieg „herrenlose“ Guthaben von jüdischen Opfern des Holocaust unterschlagen. Im letzten Sommer zog er mit dem Vorwurf nach, sie hätten sich auch am Fluchtkapital der Nazis bereichert. Seither vergeht kein Monat, ohne daß irgendwo auf der Welt neue Dokumente zum Vorschein kommen. Zuletzt machte diese Woche ein Memorandum des britischen Außenministeriums über den Verbleib des Nazi-Raubgoldes Schlagzeilen. Die Aussagekraft und der Wahrheitsgehalt dieser meist von Geheimdiensten stammenden Quellen ist schwer einzuschätzen.

Es rächt sich nun, daß dieser Teil schweizerischer Vergangenheit so lückenhaft aufgearbeitet ist. Als gesichert kann gelten, daß der Finanzplatz von der schweizerischen Neutralität zu profitieren wußte. Belegt ist, daß die Nazis während der Kriegsjahre Gold im Gesamtwert von 1.700 Millionen Franken an Schweizer Banken lieferten, ein großer Teil davon Raubgold. Man weiß auch, daß bei Kriegsende die deutschen Guthaben in der Schweiz 1,4 Milliarden Franken betrugen: Nur 121 Millionen wurden nach jahrelanger Verzögerungstaktik schließlich den Alliierten abgeliefert. Die Frage, was mit dem Rest geschah, ist ungeklärt. Wie viel, sehr viel anderes.

Erst jetzt, nachdem die internationalen Schlagzeilen den Ruf des Finanzplatzes bleibend zu schädigen drohen, will das Parlament den Auftrag zu einer umfassenden Erforschung der Vergangenheit erteilen. Oskar Scheiben