Alle Spuren weisen nach Ankara

Die Mörder der griechischen Demonstranten auf Zypern sind identifiziert. Einer der Beteiligten wurde drei Tage nach dem Mord zum Minister im türkisch besetzten Nordzypern ernannt  ■ Von Klaus Hillenbrand

Berlin (taz) – Solomos Solomou überwand die Stacheldrahtsperre der Demarkationslinie. Die Zigarette im Mundwinkel, begann der 26jährige Zyperngrieche, einen Flaggenmast hinaufzuklettern. Sein Ziel war die Fahne der Türkei, deren Soldaten den Norden Zyperns seit 22 Jahren besetzt halten. Dann fiel ein Schuß. Solomou rutschte den Flaggenmast hinunter. Er war sofort tot. „Wir brechen die Hände derer, die sich respektlos gegen unsere Fahne erheben“, begrüßte die türkische Außenministerin Tansu Çiller später den Mord.

Rund einen Monat nach dem schweren Zwischenfall vom 14. August während einer nationalistischen Demonstration an der Demarkationslinie sind die Täter jetzt anhand von Fotos und Fernsehaufnahmen identifiziert – und ihre Namen vertiefen noch den Konflikt zwischen Inselgriechen und -türken. Der Mann, der Solomou aus nächster Nähe erschoß, heißt nach Recherchen der Republik Zypern Ertal Emanet und ist Polizeichefinspektor und Kommandeur von Spezialeinheiten im türkisch besetzten Norden.

Die Namen der Umstehenden lassen darauf schließen, daß die Aktion gegen die unbewaffneten Demonstranten sorgfältig geplant war. Anwesend waren unter anderem Attila Sev, Chef der zyperntürkischen Polizei, General Hassan Kountaksi, Kommandeur der türkischen Armee auf Zypern, und Kenan Akin, ein Immigrant aus Adana und Mitglied der Demokratischen Partei. Letzterer, der mit seiner Pistole auf Solomou gezielt, aber nicht geschossen hatte, wurde drei Tage nach dem Mord zum Minister für Landwirtschaft und Forsten in der nur von der Türkei anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“ ernannt.

Mit ausdrücklichem Bezug auf die Identifizierung der Täter hat Zyperns Präsident Glavcos Clerides am Donnerstag ein Treffen mit dem Führer der zyperntürkischen Volksgruppen Raoul Denktasch abgelehnt. Der Mord könne nicht durch eine Begegnung zwischen ihm und Denktasch „weggewaschen“ werden, so Clerides. Denktasch hatte ein Treffen zwischen beiden angeregt, um die aufgeheizte Atmosphäre zwischen den ethnischen Gruppen abzukühlen. Allerdings hatte niemand von einem Gipfeltreffen irgendwelche Fortschritte bei der Lösung des Konflikts erwartet. Zu weit sind die Vorstellungen der Zyperngriechen und -türken voneinander entfernt. Während die Republik Zypern als künftigen Status der Insel eine förderative Republik mit zwei Zonen anstrebt, wollen die Regierenden des 1974 besetzten Nordens allenfalls einem lockeren Staatenbund zustimmen. Auch die Türkei unterstützt diese Position.

Die Spuren des wiederaufgeflammten Konflikts auf Zypern weisen direkt nach Ankara. Dem Mord an Solomou vorausgegangen war am 11. August eine andere Demonstration von Zyperngriechen an der Demarkationslinie. Dabei wurde der Demonstrant Tassos Isaak von Mitgliedern der türkischen „Grauen Wölfe“ erschlagen. Etwa 3.000 Mitglieder der rechtsextremen Organisation waren zuvor extra nach Nord-Zypern gereist. Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) beschuldigt nun Außenministerin Çiller, diese Reise mit Steuerngeldern finanziert zu haben. Angeblich wurden umgerechnet 1,3 Millionen Mark, die eigentlich für Öffentlichkeitsarbeit im Ausland vorgesehen waren, zu diesem Zweck umgeleitet.

„Um 20 Jahre zurückgeworfen“ sieht ein Vertreter der Republik Zypern nach den Zwischenfällen die Bemühungen um eine zypriotische Wiedervereinigung. Nationalistische Stimmungen auf beiden Seiten haben seitdem Hochkonjunktur.

Für den bis jetzt ungeklärten Tod eines türkischen Soldaten an der Demarkationslinie am vergangenen Sonntag hat Denktasch zyperngriechische Terroristen verantwortlich gemacht – allerdings fehlen bisher jegliche Beweise dafür. Die UN-Friedenstruppe ermittelt noch in diesem Fall. Die USA befürchten eine Eskalation des Konflikts auf Zypern. Ein Sprecher des State Departments rief alle Seiten dazu auf, sich öffentlicher Kommentare in dem jüngsten Mordfall zu enthalten, „um Provokationen zu verhindern“.