Lachende Almosengeber

■ Altonaer Theater: Axel Schneider inszenierte Hauptmanns „Schluck und Jau“

Axel Schneider hat es schwer. Von seinem Vorgänger hat der neue Leiter des Altonaer Theaters den Silbersee im Parkett geerbt, den man gerne mit jugendlichen Inseln auffrischen möchte, und damit steht man auf der Bühne vor einer demiurgischen Aufgabe. Denn wie soll man den älteren Dam- und Herrschaften, die Theater als bürgerliche Gewohnheit pflegen, das sehr diffus als „jung und frisch“ apostrophierte Programm verkaufen, ohne sie in die Flucht zu treiben. Zuviel Rücksicht auf deren rheumatisches Bewußtsein lädt andererseits ein neues Publikum wieder aus. Bleibt also, nett zu sein, als salomonischer Kompromiß, der das Theater in der alten Aula mit dem Publikumsquerschnitt eines bayrischen Biergartens anreichert: Dort saufen Alt und Jung, Arm und Reich einträchtig nebenher im Glauben, etwas Gemeinsames zu besitzen.

Auch wenn dieser Vergleich etwas hinkt, weil sich dort das Publikum selbst inzeniert und hier für den vermeintlichen Konsens ein Regisseur verantwortlich ist, so ist die Grenze hier wie dort dieselbe. Der Verlust eines kleinsten gemeinsamen Nenners führt zum Verlust der Veranstaltung.

Damit ist gar nicht gesagt, daß Axel Schneiders Inszenierung von Gerhart Hauptmanns Schluck und Jau nicht streckenweise leidlich unterhaltend und im Komödiantischen durchaus erfolgreich ist. Aber was das Stück über zwei arme Leut', die von ein paar gelangweilten Aristokraten und wilhelminischen Wohlstandsrepräsentanten zur Belustigung schrecklich vorgeführt werden, in einer zeitgemäßen Version bedeuten könnte, erfährt hier niemand. Im zeitlosen Raum ohne wirkliche Charaktere und Deutungen, den Schneiders Inszenierung vorführt, kann jeder brave Almosengeber lachen und über eine vermeintliche Moral räsonieren. Eine Haltung zu neuer Armut, Arroganz der Macht und dem grauen Star des Wohlstands verlangt diese Interpretation niemandem ab.

Schauspielerische Unfähigkeit – auch dies natürlich ein Kompromiß eines kaum subventionierten Theaters, das trotzdem Ansprüche hat – verhindert zudem die Darstellung der historisch bedeutsamen Selbstzweifel eines auf zwei Mensch-heitskatastrophen zuschlitternden deutschen Bürgertums. Und auch die seelischen Widerstreite zwischen Konvention und Moral, zwischen Klassenhaß und verschütteter Menschlichkeit erreichen nur die Qualität frohen Chargierens. Die Beibehaltung der hauptmannschen Originalsprache mit all ihren überkommenen Wendungen unterstreicht zudem die Unsicherheit bei der Entscheidung, in welchen Zusammenhang man diese politische Tragikomödie von 1900 eigentlich stellen möchte.

Auch wenn das Ensemble begleitend Aktionen zur Obdachlosigkeit in Hamburg veranstaltet, so bleibt seine eigentliche Arbeit, an den aktuellen und historischen Zusammenhängen von Arm und Reich zu arbeiten, mit dieser Inszenierung ungetan.

Till Briegleb