So nett, so locker, so beliebig

Der CDU-Kronprinz Ole von Beust wird heute zum Spitzenkandidaten gewählt: Warum der Herausforderer seine Partei nicht repräsentieren kann. Ein Porträt  ■ Von Silke Mertins

Unter der syltischen Sonnenbräune war Ole von Beust etwas blaß geworden. Nur verhalten dynamisch trottete er aus dem Plenarsaal der Hamburger Bürgerschaft. Sein Berater-Kreis, eine handvoll Fraktionsfreunde, nahm bei der Nachbereitung kein Blatt vor den Mund: „Das war nichts, Ole.“ Die Herausforderer-Rede, die der CDU-Kronprinz nach der Sommerpause zur Haushaltsdebatte gehalten hatte, war so zahnlos wie die Hamburger CDU selbst. Der SPD-Finanzexperte Walter Zuckerer hatte die herzlichen Lacher der Abgeordneten und Presseleute auf seiner Seite, als er den CDU-Hoffnungsträger ob seiner bestechenden Visionen verhöhnte.

Das tut einem wie Ole weh. „Ich bin viel dickhäutiger als die meisten“, sagt der 41jährige Rechtsanwalt zwar. Aber natürlich brilliert er lieber mit gelungenen Reden, als sich Versagen vorwerfen zu lassen. Überhaupt ist parteiinterner Zoff seine Sache nicht. Denn er ist vor allem harmoniebedürftig: Ein Agent Integrateur, der es allen recht machen möchte und dabei seine eigenen Ecken und Kanten zu einer geschmeidigen Oberfläche abgeschliffen hat. Er möchte von jedem geliebt werden. Doch wer liebt ihn?

Mangels Alternative wird von Beust zwar heute mit überwältigender Mehrheit vom CDU-Landesverband zum Spitzenkandidaten und Voscherau-Herausforderer gewählt werden. Doch die Person Ole von Beust, seine politischen Vorlieben und sein Lebensstil, sind kein Selbstgänger. Der klassische Hanseat Bürgermeister Henning Voscherau, verheiratet, drei Kinder, treusorgende Ehefrau, und seine väterlich-autoritäre Art wären viel mehr nach konservativem Geschmack. Aber die Hamburger CDU hat außer spätpubertierenden Lokalpolitikern wie in Altona nur den kleinen Henning: Ole. Der singelt in einer 140-Quadratmeter-Wohnung am Rothenbaum herum und denkt nicht daran, „ein Familienideologe“ zu werden. „Ach“, sagt er, „bei einer Scheidungsrate von 40 Prozent in den Großstädten“ dürfe man sich keine Illusionen über die Institution Ehe machen.

Das hört seine Partei als Schutzmacht der bedrohten Spezies Familie nicht gern. Aber, versuchen manche Parteifreunde Oles Ungebundenheit zum Positiven zu wenden, der familienlose Politiker habe ja auch Zeit. Die Parteiarbeit verschlingt sehr viel mehr davon, als Gattin und Nachwuchs gemeinhin vertragen können.

Und er ist ja auch unheimlich nett, der Ole. So locker. Spricht die Leute direkt an und beißt der Pressesprecherin frech vom Solero-Eis ab. Von der vorzeitigen Vergreisung vieler SPD-Politiker in seinem Alter oder knapp darüber hat Ole von Beust rein gar nichts. Selbst GALier fühlen eine sozialisationäre Nähe und bedauern, daß hinter dem sympathischen Ole diese unsympathische Partei steht.

Doch gerade das ist seinen eigenen Leuten ein Stachel im Fleische: Das Getechtel mit dem Farbenspiel schwarz-grün kommt schon als denkbare Möglichkeit vielen zu liberal daher. Wie überhaupt der ganze Ole von Beust. Anderen CDUlern wiederum ist er nicht provokant genug, die dritten bemängeln das fehlende wirtschaftspolitische Profil. Denn gerade vom CDU-Image, ökonomisch kompetenter als die dauerregierenden Sozialdemokraten zu sein, erhoffen sich die Christdemokraten Pluspunkte bei den Bürgerschaftswahlen in einem Jahr. Eine Feuerprobe mußte her. Die bestand Ole bei seiner Rede vor handverlesenen Größen aus der Wirtschaft vergangene Woche nur mäßig. 51 Seiten lang kuschelte er sich mit gähnend klassischen CDU-Forderungen bei Unternehmern an. Vorgelesen. Selbst geschrieben?

Dabei gilt von Beust als einer der wenigen, die ganz passabel frei sprechen können. Wenn auch nicht so souverän wie sein Rivale, der Bürgermeister. „Festreden halten kann der besser“, sagt er über Voscherau. Doch er halte sich für „origineller“. Im Vergleich wirkt von Beust jedoch immer etwas aufgeregter, eifriger und schwerer zu greifen als Senatschef Voscherau.

Der CDU-Frontmann hat sich „neue Wege gehen“ auf die Fahnen geschrieben. Sein Ziel: Ein Ole für alle. Sein Blick schweift dabei von der Elbe zum Main. Daß die CDUlerin Petra Roth es in Frankfurt geschafft hat, mit einem als „überparteilich“ inszenierten Wahlkampf direkt gewählte Bürgermeisterin eines rot-grünen Stadtparlaments zu werden, hat von Beust furchtbar imponiert. Auch er möchte der gütige Beschützer und Wohltäter aller Hanseaten werden, der das Wohl der ganzen Stadt ebenso wie die Sorgen jedes einzelnen im Blick hat.

Vorsichtshalber provoziert er deshalb nicht, auch nicht seine eigene Partei. Statt seinen Mitstreitern politische Leitlinien vorzugeben, nimmt er aus jedem weltanschaulichen Topf ein Ingredienz, um daraus einen volksnahen Eintopf zu kochen. Nichts für Gourmets. „Ich will die Enttäuschten, Frustrierten und Unzufriedenen“ erreichen, sagt er. Er wolle „an das Gerechtigkeitsgefühl appellieren“ und sich „für den sozialen Ausgleich“ einsetzen. Das gehe über politische Links-rechts-Vernebelungen hinaus.

Denn nichts haßt der betont über parteipolitischen Engstirnigkeiten thronende von Beust mehr als Ideologien. Deswegen, und nicht weil schon sein Vater Mitbegründer der Hamburger CDU war, sei er nämlich in dieser Partei. „Toleranz und Liberalität“ habe er von zu Hause mitbekommen. Seine teils jüdische Familie sei von den Nazis verfolgt worden, erzählt er gern und oft. Zu oft? „Es stimmt nicht, daß ich damit kokettiere.“ Er habe nur seine tiefe Abneigung gegen totalitäre Systeme erklären wollen.

Der typische Christdemokrat ist Ole von Beust nicht; er repräsentiert weder konservative Werte, noch gibt er mit einer starken eigenen Polit-Persönlichkeit ein neues CDU-Profil vor. Er greift hier und da christdemokratische Themen auf, betont die Bedeutung der Wirtschaft und will ansonsten alles machen wie die SPD, nur schneller und besser. Der Herausforderer Ole von Beust ist keine wirkliche Gefahr für Henning Voscherau, sondern nur ein Schaf im Wolfspelz. Angst haben viele Genossen höchstens vor der Harmlosigkeit des CDU-Spitzenkandidaten und der programmatischen Nähe zur Regierung. Denn die läßt die Fans von Rot-Grün erschauern. Hinter jeder Annäherung an den rechten Rand der SPD lauert das politische Schreckgespenst: eine große Koalition.