Mißbrauch mißbraucht

■ Wahlkampf: Rot-grünes Streitgespräch zu Sozialstaat, Arbeit und Ökosteuer

Rot stand ihm am Montag abend nicht gut: SPD-Landeschef Jörg Kuhbier bot die Beschlüsse seiner Partei zur Zukunft des Sozialstaates an wie sauer Bier. Doch keiner der ZuhörerInnen in der Evangelischen Akademie wollte Gefallen daran finden. Was als Streitgespräch zwischen Kuhbier und der neuen GAL-Sprecherin Antje Radcke angelegt war, wurde schnell zum Tribunal für die Hamburger SPD. Die Empörung des Publikums entzündete sich an dem SPD-Beschluß, Sozialhilfeempfängern bei Ablehnung „zumutbarer“ Arbeit die Stütze zu kürzen.

„Das ist Republikaner-Text“, wütete ein Zuhörer. Was die SPD „mit diesem Scheiß“ denn erreichen wolle? „Das bereitet keine große Koalition vor“, versicherte Kuhbier. Aber es könne doch niemand etwas gegen stärkere „Kontrollmechanismen“ für SozialhilfeempfängerInnen haben: „Das halte ich nicht für entwürdigend.“ Statt auf Arbeitslosen herumzuhacken, schimpfte eine andere Diskussionsteilnehmerin, solle man lieber dankbar sein, „daß diese Menschen so freundlich sind, vom Arbeitsmarkt fernzubleiben“. Oder sei der SPD noch nicht aufgefallen, daß es nicht genügend Arbeitsplätze für alle Erwerbsfähigen gebe?

„Frauen werden als Faktor betrachtet, der das Drängeln auf den Arbeitsmarkt verstärkt“, fand auch GALierin Radcke die SPD-Positionen halbherzig und forderte anstelle von Sozialhilfe die Einführung einer „Grundsicherung, die über der Armutsgrenze liegt“. Finanzierbar seien die Mehrkosten durch den Wegfall des Verwaltungsaufwands für Einzelprüfungen von Extrazuwendungen wie die Reparatur der Waschmaschine.

Leider sei es zwar richtig, gab der SPD-Chef zu, daß die Folgekosten der Sozialkürzungen um ein Vielfaches teurer sein können (Knast, Therapie, Drogenhilfe). Doch „auch wenn's unsinnig ist, muß es gemacht werden“. Die SPD wolle die Ökosteuer, um die Mehrkosten für Arbeitslosigkeit „zu kompensieren“. Eine solche Zweckentfremdung der Ökosteuer wäre aber weder im Sinne der grünen Erfinder noch im Einvernehmen mit sozialdemokratischen Umweltpolitikern. Silke Mertins