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■ NachschlagVorweihnachtliche Atmosphäre bei Ringsgwandl in der Passionskirche

Georg Ringsgwandls erste Erfolge stammen aus der Zeit, als sich Leute wie Konstantin Wecker für uns noch den Schweiß aus der Seele preßten. Unter all den naturseidenen I-i-ichs und D-d-du-us der Liedermacher war seine Erscheinung eine Offenbarung. Grell verschminkt und mit einem Müllsack bekleidet, tobte der Garmischer Singer/Songwriter/Kardiologe über die Bühne und fuhr exaltiert mit den Armen durch die Luft, während er seine Versionen von alten Schlagern, Prince-, Dylan- und Hendrix-Stücken vortrug. Die Musik war nicht gut, aber sie kam von zwei mürrischen Musikern, die aussahen, als kämen sie aus der Bahnhofsgaststätte.

Sein Talent, etwa in Popstarpose die nun noch differenziertere Mülltrennung im Loisachtal zu besingen, ist auch gut zehn Jahre später ungebrochen. Er wolle versuchen, „ruralen Humor in der Großstadt auszutesten“, erläuterte er zu Beginn seines Konzerts und sang ein wenig später: „Wo ist meine Frau nur hin? / Ist sie ganz weg, oder ist sie / nur bei einer Weiterbildung?“ In der Tat wertvolle „Diskutierbatzen“, die er direkt aus dem Dreieck Landratsamt-Ruhezone-Getränkemarkt ins Publikum warf. Während seiner Conferencen hatte er dabei schwer mit widerspenstiger Sportswear zu kämpfen. Doch während ein Helge Schneider sagt „Mein Acrylhemd ist schön!“, prangert Ringsgwandl die Welt an, die solche Scheußlichkeiten herstellt. Die frühere Freude am Trash wich einer dünnen Ironie, die gar in platten Ernst umschlägt. Einst blickte er finster ins verunsicherte Publikum, heute lächelt man gemeinsam über anderer Leute Wohnmobile. Und statt der dumpfen Gehilfen hat Ringsgwandl nun freundliche MusikerInnen um sich geschart, darunter zwei rätselhafte Girlies in Frühlingskleidern. Sie begleiten ihn mit folkloristischem Cheasy-Listening – und das zu gut, um witzig zu sein. Hatte Ringsgwandl nur einen schwachen Tag, oder hupft er wirklich nicht mehr so hoch wie früher? Schuld an der Schläfrigkeit bei Performer und Publikum hatte wohl vor allem die vorweihnachtliche Atmosphäre der Passionskirche. Hier ist vielleicht der Ort für eine Beat-Messe, alles andere aber zerschellt am 90-Grad- Winkel der Holzbänke. Nicht einmal Bier wurde ausgeschenkt. Jörg Häntzschel

Bis Sa., je 20 Uhr, Passionskirche, Marheinekeplatz, Kreuzberg

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