„Ich kann ja schlecht die Polizei holen“

Seit Montag sind 100 Angehörige von ETA-Häftlingen in einer Berliner Kirche im Hungerstreik und bringen den Pfarrer in Verlegenheit. Sie fordern Folterstopp in Spaniens Knästen  ■ Von Clemens Heidel

Berlin – Der Pfarrer der Heilig- Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg steht vor seiner Kirche und lächelt gezwungen: „Sie haben unsere Kirche besetzt.“ So was hat er noch nie erlebt. Rund 100 Familienangehörige und Freunde baskischer Gefangener haben sich am Montag in der Kirche breitgemacht. Eine Woche lang wollen sie für Menschenrechte in spanischen Gefängnissen hungern. Gleichzeitig, so Pfarrer Jürgen Quandt, distanzierten sie sich aber nicht von den Menschenrechtsverletzungen der ETA. „Das wollen wir nicht unterstützen.“ Die Basken kamen trotzdem. Dreißig Stunden waren die Kinder, Freunde und Geschwister der ETA-Häftlinge mit zwei Bussen unterwegs. Sie nennen sich Sinideak, auf baskisch „die Familien“. 500 weitere Mitglieder der Organisation begannen am Montag auch in Kirchen von Rom, Paris, Lissabon, Genf, Brüssel und Kopenhagen mit Hungerstreiks aus Solidarität für Benjamin Ramos Vega und die anderen ETA- Häftlinge. Vega wurde nach fünf Monaten Abschiebehaft in Berlin- Moabit wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung an Spanien ausgeliefert.

Am späten Abend haben sich die jungen Basken schon eingerichtet. Auf dem kalten Steinboden liegen alte Matratzen. Neben dem Eingang stapeln sich Hunderte Mineralwasserkisten. Über dem Treppengeländer hängt eine verstaubte baskische Flagge.

Blanca, die mit Handy bewaffnete Sprecherin der Gruppe, betont ausdrücklich die Unabhängigkeit der Hungerstreikenden von der ETA. „Wir fordern nur, daß Spanien seine eigenen Gesetze einhält.“ Bei der Polizei und in den Gefängnissen werde gefoltert, Gefangene bekämen weder eine medizinische Versorgung noch eine ordentliche Verteidigung. „Wir wollen darüber informieren. Jeder kann hier in die Kirche kommen und mit uns reden.“ Dani, eine 24jährige Sekretärin aus Bilbao, erzählt von ihrem Bruder. Der ist seit zwei Jahren in U-Haft. Sein Vergehen: Er schlug sich mit einem Polizisten. Dani darf ihren Bruder zweimal pro Woche 20 Minuten besuchen. Er sitzt aber, wie die Mehrheit der baskischen Gefangenen, in einem Gefängnis auf den Kanarischen Inseln. Die dreitausend Kilometer lange Reise kann sich Dani nur einmal im Jahr leisten. Die Geschichten der Hungerstreikenden gleichen sich. Aitar, ein 20jähriger Gymnasiast, möchte, daß sein krebskranker, seit vier Jahren inhaftierter Vater endlich ins Krankenhaus darf. Der Bootsbauer Mikel, 24, saß selber drei Monate lang in Untersuchungshaft, weil er verdächtigt wurde, die ETA zu unterstützen. Danach wurde er für unschuldig erklärt. Sie alle sind noch jung. Freunde im Gefängnis und tägliche Verhaftungen gehören zu ihrem Alltag.

Im Vorraum der Kirche übt sich der Kirchenchor bei seiner Probe in Normalität, aber die Blicke wandern immer wieder zu den vielen jungen Leuten, die da aus dem Nichts kamen und sich jetzt unter der Kuppel breitmachen. Aufgeregtes Gemurmel hallt hier aus allen Ecken. „Dürfen wir bleiben oder nicht?“ Die Sprecher der Gruppe diskutieren mit dem Pfarrer. Wohin mit hundert hungerstreikenden Basken abends um zehn in einer fremden Stadt? Keiner weiß eine Antwort. Schließlich läßt sich Pfarrer Quandt breitschlagen. „Ich kann ja schlecht die Polizei holen.“ Für die erste Nacht gibt er seinen Segen.