Toilette zu eng

■ RollstuhlfahrerInnen: „behindertengerechte“ Stadtexpress-Wagen sind „halbgare Lösung“

Carsten W. (Name geändert) wird ungehalten. Vor dem Aussteigen aus dem Zug muß er eine Steigung überwinden, und die schafft er mit seinem Handrollstuhl nicht alleine. Den Türöffnungsknopf erreicht er erst recht nicht. Er bemüht sich nach Kräften, die Rollstuhlräder in Schwung zu bringen, wie soll er da noch auf den Knopf rechts oben drücken können. „So bin ich im selbständigen Handeln wieder eingeschränkt“, fährt Carsten W. die ihn umstehenden Herren an.

Gestern stellten das Bremer Bauressort und die Deutsche Bahn AG die neuen behindertengerechten Doppelstockwagen vor. Sie fahren ab 1. Oktober auf der Stadt-Express-Strecke vom Bremer Hauptbahnhof über Vegesack bis nach Verden. Konzipiert wurden die Wagen auf Initiative von Bremen als „besonders behindertengerecht“ – BehindertenvertreterInnen aus der Hansestadt haben schon im Vorfeld kritisiert, daß sie in die Planung nicht einbezogen wurden (vgl. taz vom 16.9.).

Nun war also eine Handvoll RollstuhlfahrerInnen vom Bauressort geladen, die fertigen Wagen zu testen. Sie drückten die Behinderten-Ruftaste außen am Waggon, das Zugbegleitungspersonal fuhr daraufhin eine 30 Zentimeter tiefe Überfahrbrücke aus. Die Lücke zwischen Bahnsteig und Wagen war geschlossen und ohne Probleme überwindbar. Dann ging es bergab ins Innere des Zuges. „Das ist aber steil“, meinte eine Frau und versuchte eine Vollbremsung mit ihrem Elektro-Rolli. Sie steuerte auf die Toillette zu – auch die „behindertengerecht“. „Da habe ich keine Chance“, resümierte die Frau. „Es ist zu eng, ich müßte mich um hundertachtzig Grad aus meinem Rollstuhl herauswinden, und dazu ist kein Platz. Die Toiletten im Interregio sind besser.“

Wie kann so etwas passieren, fragten sich die Umstehenden. Die Konstrukteure der Deutsche Waggonbau AG aus Görlitz, wo die Wagen gebaut worden sind, zuckten mit den Achseln: Die behinderten Personen, die in Görlitz gefragt worden sind, hätten nichts gesagt. Die Verbesserungsvorschläge höre man sich gerne an. Schließlich sei die Entwicklung der Wagen für Bremen eine spezielle und werde als Pilotprojekt verstanden. 1,5 Millionen Mehraufwendungen teilen sich die Bahn AG und das Land Bremen bislang dafür. Veränderungen bringen Nachfolgekosten.

„Für solche halben, schlechten Lösungen zahlt Bremen viel und unsere Anregungen werden nicht gehört“, beschwerte sich Horst Frehe, Richter am Sozialgericht und selbst Rollstuhlfahrer. „Seit acht Jahren findet keine Kommunikationstatt.“ Im Februar letzten Jahres hat die Bahn AG mit der damaligen Bausenatorin Lemke-Schulte die Zielvorgaben für den Bremer Doppelstockwagen vertraglich festgelegt. Doch diese kenne er nicht, so Frehe. Immerhin könnten aber rund 1.000 behinderte Menschen von einer sinnvollen Zugausstattung profitieren.

Die Wut der RollstuhlfahrerInnen wurde gestern sehr deutlich. „Dies ist eine Kompromißlösung, zu der wir stehen“, rechtfertigte sich der zuständige Referent, Hartmut Linker. „Das Fahrzeug ist aus der laufenden Serie genommen, es wurde extra umkonzipiert. Die Toilette ist nach DIN-Norm gebaut.“ Es hätte aber tatsächlich ebenso die „Interregio-Version“ sein können, so die Görlitzer Ingenieure. Die war nur nicht gefordert.

Den Mangel an Kommunikationsbereitschaft mußten die Herren aus der Baubehörde also auf sich sitzen lassen. Sie zeigten zaghaft Einsicht. „Wann wird der Bahnhof Lesum für uns zugänglich gemacht?“ fragte Horst Frehe. „Dort wohnen sehr viele RollstuhlfahrerInnen. Die Bahnsteighöhe von 76 Zentimetern ist doch schon okay.“ Lesum ist als nächstes dran, versicherte Linker. Die Finanzierung sei gesichert, man müsse im Grunde nur noch ein paar Büsche zurückschneiden und die Überwachung des Hubliftes sicherstellen. Beim Umbau des Bahnhofs in Walle – derzeit in der Planungsphase – , der insgesamt 2,5 Millionen Mark kosten wird, könnte man ja durchaus vielleicht schon jetzt mit BehindertenvertreterInnen sprechen. sip