Ziemlich auf den Hund gekommen

■ Vom Fernsehen zensiert, jetzt neu im Kino: „Tierische Liebe“ von Ulrich Seidl / Wenn Herrchen und Frauchen zu sehr lieben – ihre Vierbeiner/ Ein tiefer Blick geradewegs in die Hölle

Möpse, Straßenköter, Pudel, Schlittenhunde – allesamt Objekte der Liebe. Ein Mops wehrt sich nicht, wenn Herrchen oder Frauchen ihn minutenlang knuddeln, auf ihn einreden und gestehen: Nur dich hab ich richtig lieb. Ein frisch aus dem Tierheim geholter Terrier wehrt sich schon. Bloß setzen ihn dann die beiden querulatorischen Wiener Frührentner einfach eine Nacht an einer zugigen Vorortkreuzung aus – Strafe muß sein. Dann gibt es die elegante Dame, die sich – ausgehfertig gestylt zu ihrem vierbeinigen Schatz auf den Teppich legt und sich die heißblütig formulierten Liebesschwüre verflossener Liebhaber vorliest: Ein Hund ist dir im Sturme treu, ein Mann nicht mal im Winde.

Ulrich Seidl wollte „einen Film über die Liebe“ machen. „Tierische Liebe“ ist eine sorgfältig arrangierte Sammlung von Menschen, die auf ihre Haustiere – in der Regel sind es Hunde, kaum eine Katze, ein Frettchen oder ein Kaninchen – alles mögliche projizieren, bloß Tiere dürfen sie nicht sein.

Der ORF hat den Film in Auftrag gegeben, gesendet wurde er nie. Ein Tabu, fürchteten die Fernseh-Verantwortlichen, könnte gebrochen werden: Sodomie im TV. Dabei ist Ulrich Seidls Film alles andere als eine grelle oder gar reißerische Darstellung jener ungezählten Gruppe von Außerseitern und Zukurzgekommenen, die auf dem Weg zu ihrem Seelenheil mit der stummen Kreatur vorlieb nehmen. Seidl hat in langen Gesprächen Tierhalter gesucht, die bereit sind, sich vor der Kamera mit ihrem Liebling so filmen zu lassen, als wäre keine Kamera im Raum. Kein Voyeurismus-taugliches Monstrositäten-Kabinett ist herausgekommen, sondern daß, was Seidl „inszenierte Wirklichkeit“ nennt. Die Bilder in „Tierische Liebe“ (Kamera Michael Glawogger, Peter Zeitlinger) sind bestechend fotografierte Tableaus, komponiert aus kitschigen Fototapeten, armseligen Absteigen, tristen Wohnsiedlungen. „Das Häßliche ist das Normale und das Schöne die Ausnahme. Der schlechte Geschmack ist das Durchschnittliche und dominiert unser Leben, das fängt beim Essen an und setzt sich bei der Wohnzimmertapete fort. Man könnte aber auch sagen: Ich liebe die Schönheit und das Schöne, gerade deswegen stelle ich die Häßlichkeit dar“, sagt der Regisseur. Zu keinem Moment wendet der Zuschauer den Blick mit Grausen oder Ekel ab, wenn der Kamerablick sich tief in die Seelenlage der – meist aus einfachen Verhältnissen stammenenden – Porträtierten bohrt.

Und das liegt an der Glaubwürdigkeit der Porträts. Seidl setzt, stellt oder legt seine Darsteller in Position – auch nackt. Dann werden hinter den Tätowierungen die psychischen Blessuren sichtbar. Mal bleiben die Tableaus stumm, mal sprechen die Leute, zu ihrem Hund, in die Kamera, vor sich hin. Und nur ein einziges Mal bemüht Seidl Musik, um die Aussage einer Szene zu akzentuieren. Auch eines Kommentars enthält er sich. Bloß zwei Details, die jedoch zeugen davon, daß Ulrich Seidl der Wirkung seiner Bilder auch so traut. Vollkommen zu Recht.

Mindestens eine Filmlänge lang darf man staunen, daß es Ulrich Seidl gelungen ist, ein derartig großes Vertrauensverhältnis zu seinen DarstellerInnen aufzubauen. Vollkommen selbstvergessen agieren sie, so als würden sie überzeugend eine Rolle spielen, die sie doch selbst sind. Mit diesem Schachzug ist auch die Trennung von Spiel- und Dokumentarfilm aufgehoben, was Seidls Kritiker ihm vorwerfen, die für den Österreicher aber gar nicht existiert.

Das Vertrauen der oftmals ziemlich auf den Hund gekommenen Tierhalter in den Regisseur ist nur gerechtfertigt. Er denunziert keinen seiner Darsteller, die er über Inserate oder persönliche Ansprache kennengelernt hat. Er läßt ihnen Zeit, läßt ihnen ihre Sprache, gibt ihnen Raum. Interieurs sind ihm genauso wichtig wie die Menschen selbst, sie sind gewissermaßen in ihrer Umgebung aufgegangen.

Überflüssig ist keines der Bilder aus „Tierische Liebe“, viele bleiben im Gedächtnis. Davon eines: Der zu bescheidenem Wohlstand und einem halben Dutzend Afghaner-Hunden gekommene Hausherr führt durch sein Nippes-verseuchtes Haus, stolz auf jede Einzelheit. Er öffnet die Garagentür – fahles Neon, häßlicher Lärm –, auf einem Laufband macht ein Afghaner zwangsweise Fitness, die Zunge hängt herab.

„Noch nie habe ich so geradewegs in die Hölle geschaut“, hat Werner Herzog über „Tierische Liebe“ gesagt. Diese Hölle muß besichtigt werden!

Alexander Musik

Ein ganz anderes Hunde- und Menschenbild vermittelt das „Hunde-Filmfestival in der „Schauburg“ vom 30.9.-4.10., jeweils um 11 Uhr. 30.9. „Zurück nach Hause“, 1.10. „Ein Hund namens Beethoven“, 2.10. „Wolfsblut“, 3.10. „Bingo – Guck mal, wer da bellt“, 4.10. „Lassie“.