Künstlerbücher im Doppelpack

■ Die Weserburg verbannt „Buchwerke“ hinter Glas – im „forum“ der Städtischen Galerie ist Befingern erlaubt

Künstlerbücher haben es schwer, weil sie ganz anders sind als das gemeine Buch. Seit mehr als 40 Jahren gibt es diese Kunstwerke, die mit satz- und drucktechnisch perfekten Pressendrucken oder kostbar illustrierten Büchern nichts zu tun haben. Die KünstlerInnen sind hier nicht mehr IllustratorInnen, sondern SchöpferInnen. Und genau deshalb rutschen Künstlerbücher oftmals durchs Raster. Viele VerlegerInnen, SammlerInnen und Museen fühlen sich schlicht nicht zuständig. Zwei Bremer Kulturinstitutionen, das Neue Museum Weserburg und die Städtische Galerie im Buntentor, bilden da Ausnahmen und ebnen jetzt den Weg zum anderen Buch.

Das Sammlermuseum auf dem Teerhof respektiert seit seiner Gründung die neue Kunstgattung und ihre SchöpferInnen von Hanne Darboven bis Sol LeWitt. Ein Kabinett der Weserburg ist derzeit den Zwillingsschwestern Barbara Schmidt Heins und Gabriele Schmidt-Heins (der Bindestrich ist Bestandteil des Künstlernamens von einer der Schwestern) gewidmet. Zwischen 1972 und 1982 hatten die Künstlerinnen, die auch auf der Kasseler documenta vertreten waren, ausschließlich „Buchwerke“ geschaffen – mehr als 1.000 Bücher pro Frau.

In der Weserburg wird ein repräsentativer Querschnitt von 400 Büchern gezeigt. In Vitrinen liegen die gebundenen Papierarbeiten aufgeschlagen, meist im klassischen DIN A4-Format und 100 Seiten dick. Vom ersten bis zum letzten Blatt wurden sie mit einfachen Mitteln wie Schellack, Leinöl und Schuhcreme eingefärbt oder mit Stempel, Schablone und Schere bearbeitet. Zu einer solchen Wandlung vom Buch zum Kunstobjekt konnte es nach Ansicht des Kunsthistorikers Hermann Kern erst kommen, seit das Medium Buch durch Radio, Film und Video von seinen Dokumentationspflichten befreit worden ist.

Vier Glasschränke in der Mitte des Raums zeigen Hunderte von Buchdeckeln, zwischen denen sich vergilbte Seiten wellen. Die gesamte Installation strömt meditative Ruhe aus. Doch die Wirkung der Künstlerbücher wird gebremst. Denn das Blättern und Berühren ist in der Weserburg untersagt, obwohl gerade dieser sinnliche Reiz das Kunstbuch vom kostbaren gerahmten Einzelblatt an der Wand unterscheidet. Alle Unikate sind durch Glasscheiben vom Publikum abgeschirmt.

„In einem Buch muß man blättern können, alles andere ist Frustration“, sagt Ausstellungsorganisator Heinz Stefan Bartkowiak und macht es anders. Bei seinem „forum book art“ in der Städtischen Galerie sollen ab heute abend 150 Künstlerbücher, Pressendrucke, Mappenwerke und Buchobjekte zu sehen und zu berühren sein, verspricht er.

Im Privatbus hat der gelernte Grafiker und Werbefachmann aus Hamburg die unterschiedlichsten Bücher angeliefert. Vom nur fingernagelgroßen Exemplar mit handgesetztem Ringelnatz-Gedicht bis zu ausladenden Querformaten mit einigen Dutzend Grafiken oder dickleibigen Buchobjekten mit Papp-Einband. Präsentiert werden sie in der alten Lagerhalle an der Weser auf langen Tischen.

Seit 1988 versteht sich die Familie Bartkowiak als „Entdecker von künstlerischem Potential“ und als Förderer. „Wir sind die Spinne im weltweiten Netz“, bemerkte Heinz Stefan Bartkowiak während der Ausstellungsvorbereitung, „und wir versuchen, Buchkünstler und Bibliomane zusammenzubringen.“ Künstlerbücher sind für ihn geistreicher Kontrast zum Medienrummel um CD-ROM und Internet. 76 Mal hat er in europäischen Museen, Bibliotheken und Privathäusern bereits ausgestellt. Jedes Jahr erscheint ein dicker Katalog.

Bei der Privatinitiative des Hamburgers sind die Anforderungen freilich keineswegs so hoch geschraubt wie in der Weserburg. Die BuchmacherInnen reichen von MalerInnen und ZeichnerInnen bis zu HobbykünstlerInnen und Handwerkern. Documenta-reif muß das nicht sein. Bartkowiak: „Wir versuchen, so wenig wie möglich auszugrenzen.“

Verkauft wird bei seinem „forum book art“ übrigens nichts. Doch weil die BuchkünstlerInnen von etwas leben wollen, liegen in jedem Künstlerbuch Bestellkarten. Auch in Helga Schröders „Buch LXIII“, das den Text eines japanischen Nobelpreisträgers und transparentes Japanpapier, Pinselstriche und Reiseerinnerungen vereint. Ob diesmal auch private SammlerInnen anbeißen, weiß die Bremer Künstlerin nicht. Bisher wurden ihre hochsensiblen Papierobjekte allenfalls von großen Häusern wie der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel angekauft.

Sabine Komm

„Buchwerke 1972 – 1982“ bis 27. Oktober im Neuen Museum Weserburg. Der Katalog kostet 10 DM. Das „forum book art“ findet von heute abend bis Sonntag in der Städtischen Galerie im Buntentor statt. Parallel sind Lesungen und Werkstattgespräche geplant.