■ Vorschlag: Böll mit Bäckerlehrling: Fotos von Barbara Niggl Radloff
„Doof“ steht in tintenblauer Handschrift am Rand der Zeitungsseite. Mit einem großen Porträt feierte das Modeblatt Brigitte im Juni 1960 ein Jungtalent, das sonst selbst Porträts machte und zur „ersten Garnitur der deutschen Fotografinnen“ zählte: Barbara Niggl. Die fand solche Lobeshymnen doof. 1960 war sie 24 Jahre alt. Ihre Bilder aus den Jahren 1958 bis 1962 zeigt jetzt das Deutsche Historische Museum.
Die Zeitreise durch Niggls Fotos führt in eine Ära, in der Adenauer nicht mehr und die 68er Revolte noch nicht angesagt war. Als Günther Grass noch schwarze Haare hatte und sich zwischen überquellenden Aschenbechern, dreckigen Kaffeetassen und einer halbleeren Flasche Calvados ablichten ließ. Als Heinrich Böll zum Gruppenbild mit Bäckerlehrling posierte, Max Frisch noch ganz dünn war und Dürrenmatt schon fast dick.
Die Stars der Nachkriegsszene hat Barbara Niggl in ihren Künstlerateliers besucht, ist ihnen ins Hotel hinterhergestiegen oder hat sie auf der Straße geknipst. Heiß auf Promis war die Absolventin einer Münchener Fotoschule, kam zur richtigen Zeit an den richtigen Ort. Sie sei nicht ehrgeizig gewesen, sagt die heute 60jährige, „das hat mich irgendwie nie berührt“. War das das Geheimnis für die schlafwandlerische Sicherheit, mit der sie ihre Porträts und Reportagen machte? Barbara Niggl fing mit 22 bei der Münchener Illustrierten an. Wenig später fotografierte sie schon für die Süddeutsche und Zeit, für Spiegel, Quick und stern. Vielleicht hätte sie ehrgeiziger sein sollen. Denn ihr Senkrechtstart wurde kurz darauf gestoppt: im Hafen der Ehe. Die Leica verschwand in der Schublade, die talentierte Fotografin hinterm Herd. Höchste Zeit, ihre Fotos wieder auszugraben. Constanze v. Bullion
Barbara Niggl Radloff, Fotografien 1958-62, DHM, Unter den Linden 2, Mitte, bis 29. 10.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen