■ Kampf um den Raum
: Trutzburg Ost

Im historischen Zentrum hat der DDR-Städtebau ein merkwürdiges Spektrum an öffentlichen Räumen hinterlassen. Dazu gehören aufwendig rekonstruierte Plätze, nostalgische Gassen, autoverkehrumflutete Riesenplätze und überbreite Straßen, ausgedehnte Freiräume, die weder Platz noch Park sind, endlose Kfz- Stellplätze und vernachlässigte Stadträume im Schatten der Vorzeigearchitektur.

Das bizarre Erbe an Freiräumen hat nach dem Fall der Mauer den Wunsch nach einer baulichen Erneuerung der öffentlichen Räume treibhausmäßig gefördert. Der programmatische Rahmen war schnell gefunden: Die Debatte über die „europäische Stadt“ betonte die Vorzüge von Plätzen, Straßen und Baublöcken. Das halboffizielle Leitbild der „kritischen Rekonstruktion der Stadt“ zielte stadträumlich auf den Status quo ante bellum. Und sogar ein „Stadtentwicklungsplan Öffentlicher Raum“ wurde erarbeitet, kam aber bislang nicht über das Entwurfsstadium hinaus.

Doch in wessen Interesse werden die öffentlichen Räume überhaupt erneuert? Das neue Berliner Zentrum – so kündigen die Vorzeichen – wird vor allem einer sozialen Schicht dienen: Für gehobene Angestellte werden teure Büroräume gebaut, werden Läden, Kaufhäuser und Restaurants eingerichtet. Einige residieren sogar in vereinsamten freifinanzierten Wohnungen, die auf oder neben den Büros errichtet werden. Ihren repräsentativen städtebaulichen Rahmen soll die neue hofierte Schicht in der künftigen „Prachtstraße“ des Zentrums finden, der Allee Unter den Linden. Stadtentwicklungspolitisch manifestiert sich diese Perspektive in dem Schlagwort der „Dienstleistungsmetropole“.

Allerdings stehen dieser programmierten sozialen Verödung der öffentlichen Räume einige Hindernisse im Wege. So ist noch keineswegs klar, ob es die Schicht dieser gehobenen Angestellten im offiziell erwünschten Umfang überhaupt geben wird. Denn alle Prognosen der frühen neunziger Jahre hinsichtlich eines schnellen, lawinenartigen Zuzugs dieser Schicht aus dem Westen waren falsch. Und dann existiert im Zentrum noch eine ganz andere gesellschaftliche Gruppe, nämlich die Ostberliner Stadtbevölkerung. Die ehemaligen DDR- Bürger haben – unverhofft – in den Neubauwohnungen der DDR-Zeit eine Art Trutzburg gefunden, die funktional nicht so schnell geschleift werden kann wie Büros und Läden, und deren Architektur daher auch überleben wird – trotz aller Angriffe und Umbauten. Das öffentliche Umfeld wird aber systematisch ausgetrocknet oder – „zukunftsfroh“ ausgedrückt – erneuert, ohne angemessene Beteiligung der Anwohner.

Was bleibt an öffentlichen Räumen im historischen Zentrum, die Ostberliner Bürgern nicht als gänzlich entfremdet entgegentreten? Westlich der Spree eigentlich nur mehr die östliche Leipziger Straße. Anders sieht es östlich der Spree aus: Der große Freiraum um den Fernsehturm und – noch – der Alexanderplatz können als „östliche“ Begegnungsräume gelten. Die unsichtbare sozialräumliche Demarkationslinie zwischen Ost- und Westberlin hat sich damit verschoben – in Richtung Spreeinsel. Die erbitterte Auseinandersetzung um den Palast der Republik kündet von dieser Grenzlage, sie ist nicht nur ein baulicher Streit, sondern vor allem auch ein Grabenkampf um diese Demarkationslinie. Der zweite Schlüsselort ist der Alexanderplatz. Hier soll nach radikalem Kahlschlag ein Brückenkopf des Westens errichtet werden, der den historischen Bezugsort des Berliner Ostens ersetzen soll.

Damit zeichnet sich ein unerwartetes Zwischenergebnis ab: Dem funktionalen und baulichen Großprojekt einer sozialen Aufwertung der öffentlichen Räume wird nach der ersten Runde noch nicht der politisch erhoffte Erfolg beschieden sein.

Den ehemaligen DDR-Bürgern sind zwar ihre Orte der Begegnung weitgehend genommen, doch bleiben diese Orte in sozialer Hinsicht leer, auch wenn sie, wie die Friedrichstraße und die Allee Unter den Linden, von zahlreichen Neugierigen heimgesucht werden. Harald Bodenschatz

Der Autor lehrt Architektursoziologie an der TU-Berlin