Im Einklang mit Menü und Berg

Wir inspizieren ein Angebot im österreichischen Nationalpark Hohe Tauern: Sechs komfortable Hotels schnüren ein Wanderangebot, Gepäcktransfer ist Sache der Hoteliers  ■ Von Christel Burghoff

Nie sind die Alpen schöner als auf Dias. Das Grün der Wiesen ist wirklich grün, das Weiß des Schnees besonders weiß und der Himmel einfach blau. Im Uttendorfer Nationalparkhaus sehen wir Bergmotive. Immer wieder kommt das Wasser ins Bild. Im Gegenlicht fotografiert, sieht man es über die Felsen spritzen, über glattes Gestein, das geschliffen ist wie mit Schmirgelpapier. „Hier kommt nur der Insider hin“, sagt der Ranger vom Nationalpark Hohe Tauern. Ja, der Ranger. Er kennt dies alles aus eigener Anschauung. Er hat das lebendgebärende Alpenkrokodil gesehen und den Großglockner samt seinem Gletscher und dem Schnee vom letzten Jahr. – Uns dagegen ist Regenwetter beschert. Und der Blick aus dem Fenster verspricht statt Wanderfreude Bewegungsnotstand. Und dann sagt der Ranger auch noch: „Der Körper muß gepeinigt werden, damit es danach wieder gut schmeckt.“ Das ist leicht gesagt. Liegt es etwa an uns, daß der uralte Zirbenwald als Programmpunkt ins Wasser fiel? Daß hier schlechtes Wetter und kulinarische Verführer Hand in Hand arbeiten?

Lauwarme Tafelspitzscheiben vom heimischen Rind an Kernölvinaigrette und mariniertem Eichenlaub, Hirschconsommé mit Walnußnockerln, gebratenes Jungschweinfilet, gefüllt mit Eierschwammerl auf Zwiebel-Rotweinsauce mit Weißbrotauflauf und glacierten Königserbsenschoten, Dukatenbuchteln auf heißer Vanillemilch und eingelegte Zwetschgen... Wir sind VIPs. Besser gesagt: die Vorkoster der Presse für ein Angebot, das sich zwar „Wandern ohne Gepäck“ nennt, das sich der Umstände wegen aber auf die österreichische Küche konzentriert. Und natürlich auf die Vorträge von Nationalparkrepräsentanten und Hoteliers. Denn wo uns keine echte Natur zuteil wird, da laufen die Superlative der Bergwelt zu Hochglanzformat auf. Sechzig dieser imposanten Dreitausender, die die Alpen so einzigartig machen, sollen auf einer einzigen Höhenwanderung zu sehen sein. Graf Recke hat sie für das Programm ausgewählt. Es verspricht: Man braucht keinen Weg zurück zu wandern, man kann einfach weitergehen. Bis zum nächsten Hotel. Der Gepäcktransfer ist Sache der Hoteliers. Das ist bequem, das wird einem ausgearbeitet, es gibt Aufstiegshilfen, und wer genug hat, der kann sich ein Nationalparktaxi kommen lassen.

Der betagte Graf ist der Initiator dieser Aktion. Im „Gotha“ österreichischer Schloßhotels wird sein Jagdschloß im Pinzgau gepriesen, und feinsinnig bemerkt der Autor, daß der Graf selbst die wahre Attraktion seines Hotels sei. Klar, daß der Graf den 2-Tonnen- Elch, dessen Kopf an der Wand hängt, auch selbst geschossen hat. Aus den Jagdtrophäen atmet pures Beuteglück und aus den Antiquitäten der adelige Lebensstil vergangener Zeiten. Und seine Gäste unterhält der Graf mit Stories über Scheichs und die Ziegfeld Girls, die im Pinzgau urlaubten, und über die Philosophie seiner Familie: „Wir sind Jäger. Und was will ein Jäger, wenn er aus der Natur kommt? Er will eine Badewanne, ein gutes Essen, das Gespräch.“ Graf Recke weiß genau, was er will: Den berufstätigen Gast, der vielleicht etwas gestreßt ist, der das Wandern aber genauso genießen will wie die Küche seines Hotels.

Aber Österreich ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Der Traum von illustren Gästen, von erholungsuchenden Wirtschaftswunderschaffern zerrinnt mehr und mehr. Seit sogar unsere bundesdeutschen Senioren scharenweise zu den Kanaren entschwinden, wird der Verteilungskampf um die Gäste in den Alpen härter. Wenn sechs komfortable Hotels gemeinsam ein Wanderpaket schnüren, so ist diese Initiative aus unternehmerischer Sicht begrüßenswert. Und es liegt auf der Hand: Das Alternativprogramm zum exzessiven Skizirkus heißt Natur pur im Nationalpark Hohe Tauern. Man muß nur die Prospekte ernst nehmen.

Rindsuppe mit Milzschnitten, Osttiroler Kasnockerl auf Blattspinat, darüber braune Butter, Hirschbraten-Semmelknödel-Rotkraut, Apfelschlankel... Der Taurerwirt aus Kals am Großglockner wartet aber noch vergeblich auf ökotouristische Nationalparkfans. Im Heubad duftet es gut, aber das Freibad ist vorerst abgedeckt. Das ökologisch angehauchte Hotel schmückt sich mit dem Tiroler Umweltsiegel für ökologisches Wirtschaften. Einen Umwelterfolg gibt es immerhin: der Stausee im Dorfertal wurde nicht gebaut. Die Naturliebhaber haben den Stopp eines Großprojekts bewirkt. Wir sind ins Freie ausgebüxst – trotz menütechnischer Reglementierungen und Neuschnee. Auf roten Geranien liegt frischer Schnee. Wir laufen oberhalb des Bergbachs durch das beinahe zerstörte Dorfertal. Auch das Habachtal im Pinzgau des Grafen wäre beinahe ein Staubecken geworden. Hier sucht ein einzelner Schatzsucher noch nach Smaragden, weiß der Graf. Im einzigen Smaragdbergwerk Europas.

Österreichs Weg zum Nationalpark, so erklärt die Geschichte, war ein Dreiländerakt. Vor 25 Jahren vereinbarten die Bundesländer Salzburg, Kärnten und Tirol in der Gemeinde Heiligenblut die Einrichtung eines übergreifenden Schutzgebiets. Kärnten machte den Vorreiter mit einem eigenen Gebiet, es folgten Salzburg und 1991 schlußendlich Tirol. Es soll ein schwieriger Prozeß gewesen sein, nicht allein wegen der energiewirtschaftlichen Interessen und dem Trend zum Ausbau von Gletscherskigebieten. Der Großteil des Gebiets befindet sich im Privatbesitz vieler kleiner Eigentümer und wird bewirtschaftet. Modelle für den Vertragsnaturschutz wurden entwickelt. Nicht allein der Naturschutz stand zur Debatte, sondern auch das Problem, wie die Kulturlandschaft, sprich: die Bergbauerngebiete mit Almen und Matten erhalten werden können. Jetzt gilt die Naturidylle mit ihren 1.800 Quadratkilometern als größter Nationalpark Mitteleuropas.

Hier im Süden, im Defereggental, schält sich aus der Wettermisere so etwas wie eine klar erkennbare Berglandschaft heraus. Ein neues Tal – ein neuer Hotelier. „Aber hallo!“ ist seine Devise. Agil und umtriebig hat sich der Jesacherwirt im kaum belebten und abseits gelegenen St. Jakob eine Art Monopolstellung aufgebaut. Urig-rustikal-tirolerisch ist unser Hotel, das zugehörige Sport- und Wellnessparadies ist ein buntig- modernistischer Bau in den Rottönen der Hochleistungsgeranien, die hier überall gezüchtet werden, und ganz original kommt die Almhütte im Garten daher: Barbetrieb in echtem, wiederaufgebautem Gebälk. Und damit nicht genug: direkt nebenan betreibt der Wirt eine Bergbahn. Ein besonderes Tal, in dem sogar der Schnee weißer ist als sonstwo. Kraftsuppe vom heimischen Wild mit Pilzknöderl, Defregger Schlipfkrapfen mit nußbrauner Butter und Schnittlauch, Tournedos vom Almochsen in der Meaux-Senfsauce auf Portwein- Schalotten mit zartem Gemüse und Kartoffelbuchteln, Mohn-Zimtparfait mit Rumdatteln... „Schnee vom Mittelmeer“ hat ein deutscher Journalist behauptet und mit der Story vom wissenschaftlich erwiesenen, weißeren Schnee reihum die bundesdeutsche Presse beliefert – von der FAZ über den Kölner Stadtanzeiger bis hin zur Süddeutschen. Soll man Menschen tatsächlich über diese Berge schicken? Wie sicher sind die Touren? Auf dem Heiligenbluter Friedhof unterhalb des Großglockner werden die Toten am Berg registriert. In einem dicken Buch aus Metall sind sie namentlich verzeichnet. Natürlich hat der Graf herausgefunden, daß die Wege über die Berge gefahrlos und auf viele Weise möglich sind. Man muß ja nicht allein gehen und auch nicht überall hin. Bergführer und Wanderführer lassen sich mieten, außerdem kann man sich den geführten Wanderungen der Nationalparkverwaltungen anschließen.

Kräftige Rindsuppe mit Markknödel, Kärntner Kasnudeln mit brauner Butter, Gamsbraten auf Eierschwammerlragout mit Erdäpfelkroketten und Apfelrotkraut, Topfen-Marillenknödel auf Früchtespiegel... Wenn man aus der frischen Marille den Kern entfernt und sie statt dessen mit einem Stück Zucker füllt, dann bekommt sie diesen unverwechselbar verführerischen Fruchtgeschmack. Die Knödel sind ein echter Hit. Der Koch vom Heiligenbluter Glocknerhof wird gelobt. Zur Gams empfiehlt sich übrigens ein rubinroter, fruchtiger, im Eichenfaß gelagerter Blaufränkischer Horitschon. Daß jedes Menü mit Marillenschnaps abgerundet wird, das versteht sich von selbst.

Unsere liebe Mitwelt, die Murmeltiere vom Großglockner, die kriegen frische Möhren. Sie sind wie die Bergdohlen auf Besucher geprägt und fressen ihnen fast aus der Hand. Touristen kommen reichlich zur Kaiser-Franz-Josefs- Höhe, über eine Million jährlich. Vor wenigen Jahren wurde unterhalb des Gipfels ein großes Parkhaus gebaut. Ein Hochleistungsakt und die Krönung des Tourismus am Berg. Straßen zu den attraktiven Höhen dieser eisigen Landschaft des Nationalparks gibt es zuhauf. Dieser Nationalpark ist ein Flickenteppich, durchschnitten von Industrie, von Tourismus, Energiewirtschaft, Bergbau, Verkehr. Unverändert wird die Jagd, wird Land- und Forstwirtschaft betrieben. Verdient dieses Gebiet überhaupt das Etikett Nationalpark? Nachfragen bringen es ans Licht: Eine internationale Anerkennung als Nationalpark haben die Hohe Tauern nicht. Wer diese Anerkennung vergibt, das weiß merkwürdigerweise niemand. Und es scheint auch niemandens Problem zu sein. Nur zwei Sonderschutzgesetze existieren im Sinne der strengen Schutzauflagen. Und die soll der österreichische Alpenverein zu Verfügung gestellt haben.

Die Großglockner-Hochalpenstraße ist eine sogenannte klassische Traumroute. Wir sind längst über der Baumgrenze, und Schnee hat die Bergwelt verzuckert. Auf rund 2.400 Metern Höhe erleben wir eine beispiellose Panoramafahrt durch die alpine Bergwelt. Zäh kurvt der Graf den Kleinbus durch unzählige Kehren. Rundum gesättigt und mit Schnaps im Bauch geht es in Richtung letztes Menü und ins internationale Flair des Steigenberger Avance in Kaprun.

Doch das letzte Wort hat der Berg. Er ruft noch einmal, denn tags darauf ist Kaiserwetter. Mit Berggondeln geht es zum Weißsee hinauf, direkt in die schöne Welt der Bergmotive. Auf der windgeschützten Südseite der Rudolfshütte dösen Ausflügler in der warmen Sonne und genießen die vollkommene Stille. Der Blick von der Terrasse schweift über weiße Gipfel und zum Gletscher und zum strahlend blauen Himmel. Wandern? Heute nicht mehr. Hier mag man nur noch sitzen bleiben inmitten von Schnee und blendender Helligkeit. Und innerlich abheben. Denn das ist des Wanderers Sahnehäubchen. Christel Burghoff

Infos: Hotel Jagdschloß Graf Recke, A-5742 Wald im Pinzgau, Tel.: 0043/6565/6417, Fax 6920