Prügelknaben an die Macht

Noch spielen sie auf einem ehemaligen Spargelacker: Die Darmstadt Whippets, ein Jugendverein in Selbstverwaltung, machen im Baseball Furore  ■ Von Thomas Herget

Etienne Dutoit holt aus zum großen Schlag. Die schicke Mizuno-Trainingsjacke leger um den Oberkörper geknöpft, noch einmal die verspiegelte Radlerbrille gerichtet, dann erwartet der Erfolgs-Batter den linkischen Wurf des gegnerischen Pitchers: Plong! – jetzt schnell den Aluprügel ins Gras geworfen und Fersengeld geben. Doch diesmal kommt der Junioren-Nationalspieler der Darmstadt Whippets nicht zum gewohnten Umlauf über alle vier Bases. „Verdammter Wind heute“, raunt wider besseres Wissen ein älterer Zuschauer an der Bande. Denn der 17jährige, wie sein Club-Spezi Christoph Englert eine feste Größe im Nachwuchskader des Deutschen Baseball & Softball Verbandes, trägt den wahren Grund seines Durchhängers schon äußerlich zur Schau: den Blick zum Boden, den Helm in der Hand, schlendert Dutoit gedankenversunken die Baseline entlang – die verlockenden Angebote renommierter Erstligavereine haben den harten Bengel weichgeklopft. Und die Chance zu internationaler Reputation in einer Randsportart wie Baseball eröffnet sich in Deutschland eben nicht allzu häufig.

Es dauert eine Weile, bis man das Trainings- und Spielgelände des amtierenden Hessischen und Deutschen Baseball-Meisters der Jugend gefunden hat. Irgendwann verliert sich der Eberstädter Weg an der Peripherie Darmstadts im Nirgendwo. Nur die verrosteten Fangzäune um ein versandetes Wiesenareal künden vom sportlichen Treiben. „Caution – Danger To Life“ warnt ein Schild an einer Baracke der amerikanischen Streitkräfte. „Eigentlich gibt es keinen Vertrag mit den Amis über das Nutzungsrecht des Platzes“, gesteht Tobias Englert, in Personalunion Headcoach, Vereinspräsident und Obmann der hessischen Jugendlichen. Die U.S. Army mache nichts schriftlich, „also sind wir nur geduldet“. Heute haben wir Glück. Das Wetter ist prima, das Gras wurde vor zwei Wochen gemäht und steht den Spielern deshalb nur bis über die Knöchel. Außerdem hat es die letzten Tage nicht geregnet. Nach Niederschlägen, erzählt Englert, der gerade sein Abi gemacht hat und nach einer Zivildienststelle sucht, ließe das „6910-Field“ seine Benutzer über dessen ursprüngliche Nutzung nicht im unklaren: Wo jetzt Homeruns gedroschen werden und gleich daneben Panzerketten den Untergrund durchwühlen, waren einst Äcker, auf denen Spargel sproß – schlechte Perspektiven für einen Techniker wie Dutoit, denn gerade für kommende Bundesliga-Aufgaben erfüllt die lausige Spielstätte nicht einmal Mindestanforderungen wie Strom- und Wasseranschluß, sanitäre Anlagen und vernünftige Coaching-Zonen. „Es gab Zeiten“, erinnert sich Englert, „da landeten hier Hubschrauber während des Spiels.“

Anfragen des Vereins an die Stadt nach einer Alternative zum Eberstädter Weg wurden, so der Präsident, vom Oberbürgermeister Peter Benz (SPD) seit Jahren stereotyp beantwortet. Es gäbe keine Möglichkeiten, weitere Sportflächen auszuweisen. Dies sei nicht mit leeren Gemeindekassen zu begründen, sondern damit, daß Darmstadt nicht über geeignetes Gelände verfüge. Und das wird auch weiterhin ein Problem bleiben, denn mit seinen Mindestabmessungen (170 Meter von der Home Plate bis zum Outfield Fence) läßt sich ein Baseballfeld nicht in vorhandene Sportparks oder Fußballfelder integrieren.

1992 hatte Tobias Englert das Projekt „Jugendliche für Jugendliche“ vorangetrieben. Der bestehende Baseballklub, die Darmstadt Rockets, fiel bei den Pennälern, die sich durch eingeworfene Scheiben auf den Schulhöfen gerade einen Namen machten, durch. Die Rockets, mittlerweile in die Niederungen der Drittklassigkeit abgetaucht, „brauchten nur eine Schülermannschaft, um ihre Herren über kurz oder lang in der Bundesliga zu halten“, sagt Englert. Also holten die jungen Leute Rat beim Verband ein und wählten eine bis dato ungewöhnliche Variante: Ein Jugendverein in Eigenregie und Selbstverwaltung. Die Eltern mußten als satzungsunterzeichnende Mitglieder herhalten und wurden zum Fahrdienst herangezogen. War es bisher eher so, daß der Sohnemann irgendwann dem sportlichen Beispiel des Vaters folgte, so haben die Whippets mit dieser tradierten Vorstellung gebrochen. Ab der nächsten Saison soll neben fünf Schülerteams erstmals eine Herrenmannschaft auflaufen – wenn auch nur in der untersten Spielklasse. Dann wird manch einer den Baseballschläger schwingen, der den Tatendrang seines Filius bisher eher beschmunzelt und der weltweit viertpopulärsten Sportart nur aus sicherer Entfernung via TV beigewohnt hatte.

The kids are alright – das sahen auch die Nachwuchsspäher der Dresdner Bank so. 10.000 Mark ist den Bankern die Auszeichnung des „Grünen Bandes für vorbildliche Talentförderung im Verein“ wert, die seit 1987 jährlich 60 Vereine erhalten. Cornelia Harnisch, die für den Deutschen Sportbund in der Jury zur Vergabe des Förderpreises sitzt, beeindruckt dabei die hohe Zahl von Jugendlichen im Whippets-Vorstand: „Das ist auch ein starkes Stück Demokratie.“ Probleme damit, das Geld einer Trendsportart zuzusprechen, hat die ehemalige Olympiasiegerin im Fechten nicht. Man müsse mit der Zeit gehen. Entscheidend sei, „daß das Interesse an überhaupt irgendwas geweckt wird“, weiß die heutige Lehrerin. Denn das Hauptproblem an den Schulen sei „diese Interessenlosigkeit“.

Schnelle Erfolge und steigende Mitgliederzahlen wirken naturgemäß auch auf Politiker anziehend. Erst seit ein paar Monaten im Amt, hat Darmstadts neuer Bürgermeister Wolfgang Gehrke (CDU) den Prügelknaben gleich ein neues Trainingsgelände in Aussicht gestellt. Sein Parteifreund, der hiesige Bundestagsabgeordnete Andreas Storm, will sogar schon „Gespräche in Bonn bezüglich der Mitbenutzung von Spielfeldern der amerikanischen Streitkräfte“ geführt haben. Neuerdings fällt es dem smarten Jungpolitiker leicht, in ausgelassener Pose im Kreise erfolgreicher Teens und Twens am Ball zu bleiben – wohl auch, weil Tobias Englert die konservativen Werte der amerikanischsten aller amerikanischen Sportarten um einen gesundheitlichen Aspekt erweitert hat. „Alkohol und Nikotin“, so der 19jährige, „sind laut unseren Statuten natürlich verboten.“