Böse, kleine Viruswelt

■ Kurz vor der Einsparung noch eine Premiere: „Beirut“ von Alan Bownes im Magdeburger Schauspiel

Scheinwerfer erleuchten den Platz, aus Lautsprechern tönen, vermischt mit hämmernden Lärm, Verhaltensrichtlinien. Männer in Strahlenanzügen kontrollieren uns Besucher, lassen uns bibbernd in Reih und Glied in der Nacht stehen. Nach einigen langen, kalten Minuten wird das Stahltor zu einer Baracke aufgerissen. Weißgetünchte Betonwände, die Fenster verbarrikadiert, eine Skyline aus alten Kühlschränken, Maschendraht.

Hier nun, in einer wahrlich kalten Atmosphäre dieser ehemaligen Panzerhalle, gleich neben der neuen Spielstätte des Theaters der Landeshauptstadt Magdeburg am Jerichower Platz, beginnt das eigentliche Stück: Alan Bownes „Beirut“. Als es 1989 in Hamburg in deutscher Erstaufführung inszeniert wurde, kam dieses kleinformatige, griffige Gebrauchsstück ohne tiefere Bedeutung der allgemeinen Aids-Hysterie entgegen, wie einst zu Zeiten von Tschernobyl Harald Muellers „Totenfloß“. Heute wirkt „Beirut“ in seiner grundsätzlichen Aussage noch fragwürdiger als damals.

Tristan und Isolde im Quarantänelager. New York in einer fernen Zukunft. Alle Menschen sind zwangsgetestet und tätowiert, HIV-Positive in einem Lager zwangsisoliert. Auch Torch steckt in diesem Aids-Gefängnis und wartet auf den Ausbruch von Krankheit und Siechtum. Seine (nicht infizierte) Geliebte Blue aber überwindet die Ghettogrenzen und schmuggelt sich widerrechtlich zu dem Mann ihrer Träume. Und da steht sie nun vor Torch, will Sex und ein Leben zu zweit, bis daß der Tod sie scheidet.

Bownes entwirft eine negative Utopie, die den sozialpolitischen Super-GAU zur Wirklichkeit werden läßt: Ein totalitärer Überwachungsstaat, der die Welt in Verseucht und Nichtverseucht unterteilt. Streetworker der Aids-Hilfe müßten in diesem Stück einen Kollaps kriegen. In dieser kleiner Viruswelt herrscht nämlich das verschärfte Präventionsgebot. Küssen ist nicht (zu gefährlich), Anfassen eigentlich auch nicht (könnten ja Risse in der Hand sein), und das gleiche Trinkglas benutzen, hieße, bereits mit einem Bein im Grabe zu stehen. Das Stück lebt vom Thrill der Panikmache.

Der 32jährige, in Berlin lebende Regisseur und Autor Lutz Hübner interessiert sich denn auch vor allem für das Liebespaar. Blue (Andrea Hermann) hat sich nuttig herausgeputzt, dürftig bekleidet mit ein bißchen Sexshopwäsche. Ein lüsterne Frau, die sich animalisch windet, um Torch zwischen die Beine zu greifen. Und Torch (Heiko Pinkowski) wirkt mit seinem Irokesenhaarschnitt, seinen weit aufgerissenen Augen so gehetzt und nervös wie ein Woyzeck.

Hübner läßt sich die beiden immer wieder gegenseitig aufpeitschen, sich in Rage reden – ihre sexuelle Gier, Wut, Angst und Panik wird körperlich sichtbar. Die Frage, wie denn die Liebe in den Zeiten von Aids aussehen könnte, beantworten sie mit körperlichem Nahkampf oder Flucht. Immer wieder heulen ohrenbetäubend Sirenen auf, flackern Suchscheinwerfer und künden den Auftritt des martialisch wirkenden Aufsehers (Knut Müller) an. In solchen Momenten wird diese Panzerhalle dann endgültig zu einer postapokalyptischen Kulisse à la „Mad Max“ und Carpenters „Die Klapperschlange“.

Wie sehr Hübners Inszenierung durch die düster-bedrohliche Atmosphäre und die Darstellung der Psyche dieser beiden menschlichen Wracks beeindruckt – sie kann die Schwächen des Stückes nicht wettmachen. Bemerkenswert ist allerdings der Rahmen, in dem die Inszenierung Premiere hatte. Unter dem Titel „Ohne Mittel bald ein Drittel“ veranstaltet das Theater der Landeshauptstadt Magdeburg noch bis zum 24. September eine Themenwoche zum Leben mit Aids. Neben einigen Rahmenveranstaltungen ist auch die Inszenierung von Lutz Hübners eigenem Stück „Letzte Runde. Black Comedy“ (Regie und Hauptrolle: der Autor) zu sehen, eine makabre Farce über Abschied und diverse Facetten der Liebe. Im Mittelpunkt steht ein schwuler Gastwirt, seine beste Freundin, ein an Aids erkrankter DJ und eine Dame mittleren Alters auf Männerfang.

Eigentlich könnte das Ensemble stolz sein auf diese engagierte Theaterwoche, aber mitten hinein platzte Ende letzter Woche die Mitteilung des Magdeburger Kulturbeigeordneten Rüdiger Koch, daß aufgrund sinkender Zuwendungen des Landes auch bei der Kultur gespart werden solle. Er schlägt vor, die Sparte Schauspiel des Landestheaters entweder mit den Freien Kammerspielen Magdeburg unter der Leitung von deren Intendant Wolf Bunge zusammenzulegen oder gleich ganz zu schließen. Da könnte eine Themenwoche in eigener Sache fällig werden: Ohne Mittel bald die Hälfte. Axel Schock

Alan Bownes: „Beirut“. Regie: Lutz Hübner. Landestheater Magdeburg. Nächste Vorstellungen am 27. 9., 4. und 8. 10., 19.30 Uhr