Fahndungszettel für all seine Figuren

Übersetzen ist wie Aktienhandel, sagt Frank Heibert, dessen Fassung von Kushners „Engel in Amerika“ hoch im Kurs steht. Morgen hat seine Übersetzung der Schwulenkomödie „Liebe! Stärke! Mitgefühl!“ in Hamburg Premiere  ■ Von Axel Schock

Gewisse Männer wirken, als wären sie einem Bilderbuch schwuler Stereotypen entsprungen: Greg zum Beispiel, ein alternder Choreograph und in großer Liebe seinem blinden Freund Bobby verbunden. Der jedoch verliert sein Herz an den leichtlebigen, etwas dummen, aber strunzgeilen Tänzer Rámon aus Puerto Rico. Der wiederum würde am liebsten jenes Calvin-Klein-Unterhosen-Model heiraten, mit dem er sich angeblich in einem griechischen Fischerboot vergnügt haben will. Buzz ist solo, HIV-positiv und leidenschaftlicher Musical-Fan; John ein erfolgloser, ungeliebter und folglich misanthropischer Komponist, sein Zwillingsbruder James jedoch das glatte Gegenteil: ein allseits geliebter Sonnenschein.

Diese Männer läßt der routinierte US-Dramatiker Terrence McNally („The Ritz“, „Kiss of the Spiderwoman“) in seinem Stück „Liebe! Stärke! Mitgefühl!“ zum Wochenendurlaub im Grünen in einem idyllischen Landhaus am See zusammenkommen, sich streiten, lieben, versöhnen. (Gorkis „Sommergäste“ lassen von Ferne grüßen). McNally erzählt keine durchgehende Geschichte, sondern stellt – mit zynischem Schwulenwitz und jeder Menge Melancholie – das individuelle Scheitern von Lebensperspektiven und Beziehungen nebeneinander.

Am Broadway geriet „Liebe! Stärke! Mitgefühl!“ zum überraschenden Publikumserfolg, und Terrence McNally heimste 1995 auch den Tony Award für das beste Stück ein. Eine Verfilmung ist gerade in Arbeit. Nun eröffnet das Schauspielhaus Hamburg mit dieser melancholischen Komödie am 25. September die neue Spielzeit.

Daß die Figuren auch in der deutschen Fassung individuell wirken, dafür sorgte der Berliner Übersetzer Frank Heibert. Seit dem spektakulären Erfolg von Tony Kushners Aidsepos „Engel in Amerika“, das in den vergangenen drei Spielzeiten in fast zwei Dutzend Inszenierungen zwischen Oldenburg und Wien gespielt wurde, gehört er zu den gefragtesten Vertretern seines Metiers.

Ein bißchen sei dieser Job wie Börsenspekulation, erzählt Heibert. „Jedes übersetzte Stück ist eine Aktie. Wenn man Glück hat, kommt es irgendwann groß raus.“ Ohne literarische Leidenschaft ließe sich auf Dauer wohl keiner auf dieses Spiel ein. Denn jede Übersetzung bedeutet Wochen und Monate Arbeit für 1.000 bis 2.000 Mark Vorschußhonorar des beauftragenden Theaterverlags. Bleibt die Aktie flau, verstaubt das Stück in der Schublade. Denn von den jährlich rund 600 bei der Zentralstelle der Bühnenautoren neu gemeldeten Übersetzungen findet gerade mal ein Drittel den Weg auf die Bühne. Die Übersetzer wie die Dramatiker bekommen ihren eigentlichen Lohn als Prozentanteil von jeder verkauften Theaterkarte – das lohnt sich erst bei einem Hit.

Cooler Ami-Slang, jüdischer Humor

„Seit ,Engel in Amerika‘ landen die meisten der neuen schwulen Stücke aus den USA auf meinem Schreibtisch; obgleich ich auch andere Stilrichtungen kann und gerne mache, laufe ich jetzt wohl unter dem Label cooler Ami- Slang, jüdischer Humor, was weiß ich. Aber den Kollegen Simon Werle hält man vermutlich auch seit seinem phänomenal guten Racine-Übertragungen für einen Alexandriner-Computer ...“ Das Locker-Flockige, der pointierte, doppeldeutige Witz dieser schnellen Dialoge McNallys hat Heibert galant in ein Szenedeutsch übertragen, das sich nicht dem Zeitgeist opfert und dennoch schnell auf den Punkt, sprich die Pointe, kommt.

Angefangen hatte alles 1983 mit der Übersetzung einiger Erzählungen von Boris Vian. Studiert hat der 35jährige Heibert zunächst die italienische und französische Sprache, durch längere Auslandsaufenthalte und Stipendien perfektionierte er allerdings auch sein Englisch, Spanisch und Portugiesisch. Die Liste der Prosaautoren, die er seitdem übersetzt, ist entsprechend vielfältig: Tobias Wolff und Patrick White, Peter Brook und Alfred Jarry, Aldo Busi und Jorge de Sena. Einige Autoren, etwa den Briten Patrick Gale und den US- Amerikaner Jim Grimsley, entdeckte er als Übersetzer und Herausgeber des zebra verlages in der Berliner edition diá für den deutschen Literaturmarkt.

Zum Drama kam der Prosaübersetzer 1988 über ein Hörspielstück des Franzosen Philippe Minyana bei Radio Bremen. Bei Udo Samel, Ulrich Matthes, Hilmar Thate und Angelica Domröse habe er gelernt, „was es mit der berühmten ,Sprechbarkeit‘ von Theatertexten auf sich hat“, sagt Heibert. „Der Ton muß für jede Figur im Stück funktionieren, denn die Figuren konstituieren sich allein durch das, was sie sagen, nicht durch Beschreibungen und Gedanken wie in der Prosa.“ Am Anfang entstehen kleine „Fahndungszettel“ für jede Figur – erste Lektüreeindrücke. Sprechen die Figuren eher umgangssprachlich oder hochgeschraubt, förmlich oder eloquent? Gibt es sprachliche Leitmotive, wiederkehrende Wendungen, Sprechmarotten?

Einige Probleme machte in McNallys „Liebe! Stärke! Mitgefühl!“ die Figur des fanatischen Musical-Spezialisten Buzz, der alles nur erdenkliche Wissen über das nordamerikanische Musical in seinem Kopf abgespeichert hat, um es in jedem unnötigen Moment abzurufen. Etliche Hinweise auf Sänger, Shows und Songs konnten gestrichen werden, andere wurden vereinfacht: Aus dem „MacNeill/ Lehrer-Report“ etwa machte Heibert unspezifische Fernsehnachrichten, und in Absprache mit Terrence McNally mutierten zwei Musical-Größen kurzerhand zu Madonna und Michael Jackson – denn natürlich „wäre es Schwachsinn, Gitte und Roy Black in ein New Yorker Stück zu packen“.

Daß dies auf der Bühne dann letztlich nicht doch passiert, kann der Übersetzer allerdings kaum verhindern. Die meisten Dramaturgen und Regisseure kürzen oder verändern während der Proben – bis zu 10 oder 15 Prozent sind üblich und zumeist in Ordnung. Manche Starregisseure wie Peter Stein oder Peter Zadek nehmen gleich die Abkürzung, klittern aus vorliegenden Übersetzungen von Klassikern flugs eine eigene Fassung zusammen und streichen dann die Tantiemen ein. Eine leicht zu durchschauende Masche und, wie Heibert sagt, „eigentlich ein Skandal“.

Was den übersetzenden Regisseuren, die über Nacht des Altgriechischen oder Norwegischen mächtig werden, ein nettes Zubrot ist, stellt für Profiübersetzer einen hart erarbeiteten Lebensunterhalt dar. Wer als literarischer Übersetzer überleben will, muß gut, geschäftstüchtig, ausdauernd und fleißig sein; dann reicht es mit viel Glück für etwa 3.000 Mark brutto im Monat. Über die Hälfte der literarischen Übersetzer ist daher auf Nebentätigkeiten angewiesen, ergab eine neue Umfrage im Berufsverband der IG Medien.

Die finanzielle Mischkalkulation geht für Frank Heibert inzwischen recht gut auf – er nimmt sich sogar Zeit für sein halbprofessionelles Hobby als Jazzsänger. Doch es geht nicht allein ums Geld: „Ich brauche zum Glück nur noch Aufträge anzunehmen, von denen ich voll überzeugt bin.“ Und wenn alles klappt, hat auch hierzulande McNallys Komödie das Zeug zu einem Erfolgsstück. Für den Fall, daß die Hamburger Inszenierung einschlägt, haben einige andere Bühnen bereits ihr Interesse am Stück angemeldet.

Die deutschsprachige Erstaufführung von Terrence McNallys „Liebe! Stärke! Mitgefühl!“ in der Übersetzung von Frank Heibert am Schauspielhaus Hamburg inszeniert Gustav-Peter Wöhler. Premiere ist am 25. September