„LehrerInnen raushalten“

■ Jugendliche sollen eigene Konflikte selbst schlichten / Modellprojekt in Bremen-Nord

Peer mediation in Bremen-Nord: Die Idee ist, daß SchülerInnen Streit unter SchülerInnen, also unter ihresgleichen (ihrer peer-group), schlichten. Das Umgehen mit Konflikten lernen die Jugendlichen von PsychologInnen, dann bieten die frischgebackenen MediatorInnen in den Pausen „Konfliktvermittlung“ an. Schulleitung und LehrerInnen halten sich raus. Das Gewaltpotential an der Schule soll entschärft werden. „Ob wir eine Straftat verhindern, wissen wir nicht“, sagt der Projektleiter.

Sein Name ist Frank Winter. Winter ist Psychologe und hat Anfang diesen Jahres in Bremen-Nord das Modellprojekt angeschoben, das Vorläufer in den USA und an einer Realschule in Sundem im Sauerland hat. Im Bremer Norden heißt es in seiner vollen Länge „Ausbildung von Schülern und SchülerInnen zu Konfliktvermittlern am Schulverbund Lesum und Schulzentrum Lehmhorster Straße“. Rund 30 potentielle MediatorInnen sind dafür bereits gefunden. Sie wollen sich gerne „Antistreßteam“ oder „Antistreitteam“ taufen. In einem halben Jahr sollen die Jugendlichen selbständig schlichten. Die sie betreuenden Erwachsenen saßen gestern zusammen.

Mit dabei war zum Beispiel Eberhard Pomtow, Schulleiter des Schulzentrums Lehmhorster Straße, Bremens größtes Mittelstufenzentrum mit 1.080 SchülerInnen und vier Standorten: „Gebäudemäßig ein Torso, was nicht unbedingt zur Identifikation anregt“, so Pomtow. Dennoch nimmt Schulleiter Pomtow sein Schulzentrum als „fast gewaltfreien Raum“ wahr. In seinen Augen soll das Projekt die Alltagskonflikte ins Auge fassen, eine blöde Anmache etwa, eine Rempelei oder provokante Parolen an der Wand. Pomtow warf gestern Schlagworte wie Entdramatisierung, Eigenverantwortung und Enthierarchisierung in die Runde. „Wir wollen die Chance ergreifen, von der Macht der Erwachsenen wegzukommen.“

Zuerst aber ging nun das Zepter der Konfliktvermittlung in Bremen-Nord an die Profis: Frank Winter übernahm die Obhut, Svenja Taubner und Christoph Krause (9. und 10. Semester Psychologie an der Uni) bilden die Jugendlichen aus. Taubner und Krause warben in den beiden Schulen in Lesum und Lüssum in den neunten und zehnten Klassen für das Projekt.

Obwohl klar war, daß Pausen geopfert werden müssen und obwohl das Projekt an sich zunächst wahrhaftig verkopft wirkt, reagierten in Lesum auf Anhieb 45 Jugendliche (aus allen Schulstufen). Sie wählten anschließend selbst 16 VertreterInnen (zehn Mädchen, sechs Jungs) – und die geheime Rechnung der Psychologen, diejenigen mit eigener Konflikterfahrung einzufangen, ging auf: Frank Winter kennt viele von den angehenden MediatorInnen bereits aus seiner psychologischen Beratungsstelle „Täter-Opfer-Ausgleich“ im Bürgerhaus Vegesack.

Die Jugendlichen bringen also nun den eigenen Zündstoff mit, ein halbes Jahr lang einmal die Woche zu zwei Stunden Sitzung außerhalb der Schulzeit. (Die Eltern sind informiert.) Aber Frank Winter versprach ihnen ja auch Spaß bei der Ausbildung. Körperarbeit ist angekündigt: Spiegelbild spielen, Konflikt als Lust erfahren (Schreien), Gruppenspiele. Am Ende dürfen alle selbst entscheiden, ob sie sich für konfliktfähig halten und bekommen ein Zertifikat. Einzige Bedingung dafür ist die regelmäßige Teilnahme an der Ausbildung.

Vom Vorläufermodell im Sauerland hat Frank Winter selbst erst vor kurzem erfahren. Er entdeckt dort wie in den USA-Projekten eher einen pädagogischen Ansatz, während ihm ein therapeutischer lieber ist. Er wolle nicht die Jugendlichen von A nach B bringen (pädagogisch), sondern sie erkennen lassen, daß sie sich in A befinden, und daß es viele Möglichkeiten gibt, nach B zu gelangen.

„Zu lernen, was ein dämliches Wort auslöst, das ist in der Schule übbar. Aber lassen Sie uns bitte das Projekt ganz unten, ganz klein ansetzen“, sagte gestern Schulleiter Eberhard Pomtow. „Sonst werden wir kläglich scheitern.“ sip