"Die Verhältnisse sind subtiler"

■ Gespräch mit der Sportsoziologin Birgit Palzkill über die Problematik von biologischem und kulturellem Geschlecht sowie die Ironie in den Fingernägeln von Gail Devers

taz: Sie werden in Hannover über die Fragwürdigkeit des zweigeschlechtlichen Systems sprechen. Sind Sie eine Queer-Theoretikerin?

Birgit Palzkill: Die Queer-Bewegung ist ja sehr vielfältig. Der gemeinsame Nenner scheint zu sein, daß sich diese Szene ganz bewußt vom Rand her definiert, und mit diesem Kontext kann ich mich durchaus anfreunden.

Die Rezeption der Publikationen von Judith Butler haben auch in Deutschland die Debatte um das biologische (sex) und das kulturelle Geschlecht (gender) angekurbelt. Der Autorin wird dabei oft vorgeworfen, konkrete Körpererfahrungen theoretisch auszublenden. Wie bringen Sie aus sportsoziologischer Perspektive den Körper ins Spiel?

Zur Klärung ein simples Beispiel: Der Kölner Dom ist zwar eine Konstruktion, existiert aber trotzdem. Butler und anderen geht es nicht um die Ausklammerung des Körpers, sondern um die Denaturierung der an den physiologischen Körper gebundenen Verpflichtung zur lebenslangen Darstellung und Identifikation mit einer einzigen gesellschaftlichen Seinsform. Theoretikerinnen wie Monique Wittig sorgen mehr noch als Butler für eine Erweiterung feministischer Fragestellungen: Früher gingen wir davon aus, daß das Herrschaftsverhältnis sich allein in der Unterdrückung der Frauen durch die Männer manifestiert. Wittig wies nach, daß die „Benennung“ des Geschlechts selbst schon einen Herrschafts- und Zwangsakt darstellt.

Welche Bedeutung hat dieser Ansatz für die feministische Sport- und Bewegungskultur?

Um beispielsweise die Neigung von Mädchen zu erklären, wenig Raum einzunehmen, griffen Feministinnen auf soziologische Fragestellungen zurück. Welche Einschränkungen, welche Ausschlußverfahren haben das Mädchen zum Mädchen gemacht? Heute lautet die interessantere Frage: Wie sozialisieren sich Mädchen selbst in die Konstruktion hinein? Die Verhältnisse erweisen sich als subtiler. Das Mädchen ist darauf angewiesen, beispielsweise kleine Schritte zu machen, damit man sie als Frau erkennt.

Um in den neunziger Jahren sportlich erfolgreich sein zu können, benötigen Athletinnen einen – im Vergleich zu einer Heide Rosendahl der siebziger Jahre – zunehmend „männlicheren“ Körper. Treten Leichtathletinnen wie Gail Devers mit langen Fingernägeln, raffinierten Trikots und reichlich Make-up an, um diese „Vermännlichung“ zu kaschieren?

Ich würde diese Strategie ganz pragmatisch deuten: Um werbewirksam sein zu können, darf das äußere Erscheinungsbild der Athletin nicht kraß vom geltenden Ideal abweichen. Dennoch glaube ich, daß die Athletinnen mit diesen weiblichen Attributen spielen. Wenn Devers wegen ihrer langen Fingernägel gezwungen ist, eine biomechanisch nicht eben günstige Startposition einzunehmen, karikiert und ironisiert sie doch die Umstände, die sie in diese mißliche Situation bringen, ob sie das nun will oder nicht.

Sie haben selbst eine sportliche Karriere, unter anderem im deutschen Basketball-Nationalteam, hinter sich. Welche Erfahrungen haben Sie mit der geschlechtlichen Kategorisierung gemacht?

Wie andere Leistungssportlerinnen auch hatte ich mich mehrfach dem sogenannten Sextest zu unterziehen. In den sechziger Jahren hatten die Athletinnen dabei nackt an einer Reihe von Ärztinnen vorbeizumarschieren, die dann aufgrund äußerlicher Merkmale ausreichendes Frausein attestierten oder nicht. Im Zweifelsfall mußten die Probandinnen auf den gynäkologischen Stuhl. In den siebziger Jahren, als begonnen wurde, diese Methoden zu hinterfragen, galt die geschlechtliche Zuordnung auf der Basis der Chromosomensätze als humaner. Ich weiß von vielen Kolleginnen, daß sie, wie ich selbst auch, Angst davor hatten, daß dort etwas entdeckt werden könnte, was unserem physiologischen Frausein widerspricht. Ich denke, daß die Verunsicherung daher rührte, daß ich das, was gesellschaftlich unter Frausein verstanden wird, gar nicht sein wollte. Paradoxerweise war dann die Erleichterung darüber, daß mein Chromosomensatz „stimmte“, um so größer. Ich hatte schließlich damit den Ausweis in der Tasche, der mir meine Identität als Frau und damit als ordentliches Mitglied dieser Gesellschaft sicherte.

Seit neuestem kritisieren auch Feministinnen die Teilnahme von Frauen an „patriarchalen Unsitten“ wie Motorsport, Faustkampf, Boxen und insbesondere dem Stierkampf. Die Torera Christina Sanchez wurde jüngst von wütenden „Emma“-Leserinnen als „Tiermörderin“ und „weibliche Stierabstecherin“ bezeichnet.

Frauen sind für mich nicht die Hüterinnen des Friedens. Trotzdem ist für mich die Frage, inwieweit ich mich dafür einsetze, daß Frauen Zugangsmöglichkeiten zu Bereichen erhalten, die ich eigentlich ablehne. Da bin ich ambivalent; nicht umsonst habe ich in den letzten Jahren etwa zehn verschiedene Haltungen zum Thema „Frauen und Bundeswehr“ eingenommen.

Ihre 1990 veröffentlichte Dissertation über lesbische Identität im Sport endet mit der Aussage: „Seit ich Lesbe bin, bin ich froh, eine Frau zu sein.“ Würden Sie das heute noch so stehen lassen?

Heute würde ich sagen, daß ich, seit ich Lesbe bin, in innerer Übereinstimmung mit meinem physischen Körper lebe. Mir ist es heute egal, welchem Geschlecht ich zugeordnet werde. Ich muß nicht mehr dazugehören und kann vom Rand aus gucken. Interview: Claudia Thomsen