Die Arbeit im Dorf lassen

ABM-Projekte gibt es in Schottland und Frankreich nicht. Statt dessen schafft dort eine „lokale Ökonomie“ Jobs fast ohne Subventionen  ■ Von Barbara Dribbusch

Berlin (taz) – Dominique Wittmer denkt praktisch. Als der Bürgermeister von Obersteinbach (Elsaß) vor einigen Jahren einen neuen Sozialbetrieb mitgründete, „da mußten wir erst mal Mofas für unsere Arbeitslosen beantragen. Die konnten doch sonst nirgendwo hin“. 15 Zweiräder wurden geliefert – und erwiesen sich als wirkungsvolle Subvention. Heute verkaufen die Arbeitslosen aus dem Sozialbetrieb selbstgefertigte Holzpaletten, recyceln Altpapier und kellnern in der örtlichen Gastronomie. „Zu 80 Prozent tragen wir uns selbst“, ist Wittmer stolz.

Das Obersteinbacher „entreprise d'insertion“ ist ein Beispiel für lokale Beschäftigungsinitiativen im europäischen Ausland, über die kürzlich auf einer Tagung der Lasa-Agentur im brandenburgischen Genshagen diskutiert wurde. Gemeinsames Merkmal der ausländischen Sozialbetriebe: Sie kommen mit weniger Zuschüssen aus als die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) hierzulande. Und sie konzentrieren sich auf Marktnischen der Regionen.

„Unser Vorteil ist: Wir kennen jeden Betrieb im Umkreis von 30 Kilometern, und die Leute kennen uns“, sagt Wittmer. Als die Gaststätten- und Hotelbetreiber für die Wochenenden Aushilfskräfte suchten, stellte der Sozialbetrieb ein Team zusammen. Die örtlichen Gewerbebetriebe brauchten Holzpaletten in Sondermaßen, also zimmerten die Arbeitslosen die gefragten Produkte.

Nur Neuanschaffungen von Maschinen werden subventioniert. Ansonsten trägt sich der elsässische Sozialbetrieb selbst. Das funktioniert nur bei niedrigen Angebotspreisen und vor allem niedrigen Löhnen. Die 27 Arbeitslosen sind in dem Projekt fest angestellt. Sie verdienen etwa neun Mark netto die Stunde. „Das ist der französische Mindestlohn. Das Monatseinkommen liegt damit immerhin noch 500 Mark über der hiesigen Sozialhilfe“, so Wittmer. Mit den niedrigen Preisen erregt der Beschäftigungsbetrieb allerdings auch das Mißtrauen der örtlichen Wirtschaft.

Neue Fäden für Schottlands Sozialnetz

Die Kritik verstummt allerdings, wenn die Beschäftigungsprojekte Nischen besetzen, die für private Unternehmen nicht interessant sind. So war es auch in einigen Regionen Schottlands. „Als die Schwerindustrie kaputtging, drohte vielen Gemeinden die völlige Verödung“, berichtet John Pearce, Berater für Gemeinwesenökonomie in Schottland. Dort gründeten die Gemeinden selbstverwaltete Sozialbetriebe. So entstand in einem ehemaligen Werftgebiet von Glasgow Govan workspace. Die Arbeitslosen renovierten eine leerstehende Fabrikhalle und richteten darin 150 Werkstätten ein. Heute schuften rund 450 Selbständige und ArbeiterInnen in den Räumen, die zu günstigen Preisen vermietet werden.

Auf der schottischen Insel Papa Westray drohte die 70köpfige Bevölkerung vollständig abzuwandern. Ein kleines Gästehaus, ein Laden und ein paar Ferienhäuser schufen immerhin sechs Teilzeitjobs und erhielten die örtliche Infrastruktur. Die schottischen Sozialbetriebe bieten inzwischen Sicherheitsdienste an, versorgen Pflegebedürftige, betreuen Kinder in mobilen Kitas in alten Doppelstockbussen und organisieren Kleinkredite für Selbständige. Ein Konkurrenzproblem zum öffentlichen Dienst gebe es nicht, so Pearce. Schließlich wurde in den vergangenen Jahren der öffentliche Dienst in Großbritannien stark abgebaut und privatisiert.

Einige der gemeinwesenorientierten Wirtschaftsunternehmen seien inzwischen finanziell völlig selbständig, so Pearce. Andere wiederum, beispielsweise ein Edinborougher Projekt mit vielen Behinderten, bekämen vergleichsweise hohe Subventionen.

Eine Diskussion um einen „ersten“ oder „zweiten“ Arbeitsmarkt gebe es außer in Deutschland nirgendwo sonst, betonte Karl Birkhölzer von der Forschungsgruppe „Lokale Ökonomie“ an der Technischen Universität Berlin. „Diese Einteilung in zwei Klassen von Arbeitsmärkten ist typisch deutsch und gehört abgeschafft. Wir brauchen einen erweiterten Arbeitsmarkt, auch mit Feldern, die von der Privatwirtschaft gar nicht erst bedient werden.“ Barbara Dribbusch