Schnaps für sechs Millionen

■ Texte von Achternbusch, Arien von Verdi: Das Rudimentär Theater präsentiert Stella Valentien mit dem Stück „Susn“

Die Bar verwandelt sich in ein Theater, der Tresen wird zur Bühne. Obenauf steht eine Kloschüssel, weiß, glänzend und geputzt. Sieben ZuschauerInnen sitzen peinlich nah davor, einer von ihnen ist der Regisseur. Wenn nicht kurz vor knapp noch das Achternbusch-Fan-Pärchen an die Tür des Theaters ohne Namen in der Kollwitzstraße geklopft hätte – die Sängerin hätte vielleicht gar nicht gesungen. Die ganze Sache ist beklemmend intim.

„Susn“ ist ein Stück für eine Sopranistin (Stella), produziert vom Rudimentär Theater in der Regie von Hendrik Mannes. Zwar gibt es von Achternbusch ein Theaterstück, das „Susn“ heißt – doch das hier ist was anderes. Eine Sängerin erzählt Geschichten. Kommt hinten über die Treppe hereingeschneit und fängt einfach an, unmotiviert, zusammenhanglos, als säßen wir im Wohnzimmer und wären alte Bekannte. Von Henry Miller erzählt sie und wie sie einmal auf seinen Spuren wandelte. Ihre Stimme ist alltäglich, kein bißchen artifiziell. Ein bißchen dumm klingt das und sehr zusammengestoppelt – so redet eine, die sich just an Belangloses erinnert –, aber hinter den Geschichten lauert Gefahr. Unbeteiligt, ohne im Ton zu stocken, gleiten ihre Erzählungen ins Brutale ab, lakonisch und manchmal im breitesten Dialekt, „mei, wenn i net owei so an Schmarrn zasamdenga dat...“

Die Texte von Achternbusch sind Geschichten über destruktive Liebe und die Banalität des Bösen. Da will einer seinen Weltschmerz über die Vernichtung der Juden wegsaufen. Auf Krankenschein will er Schnaps als Medizin, unzählige Hektoliter für die sechs Millionen, doch wie er auch rechnet, ein Jude bleibt immer übrig. Diese Kälte, diese grauenhafte, psychotische Normalität wird manchmal durch Gesang gebrochen. Verdi- Arien, ausgerechnet, mit dem Mut der Verzweiflung à capella hineingesungen in das Grauen. Daß das da nicht hineinpaßt, dieser sehnsüchtige Liebeseffekt in die Lächerlichkeit des Daseins, ist gewollt und paßt also auch wieder; daß der Gesang leider schrecklich dilettantisch wirkt, ist wahrscheinlich eher ungewollt, paßt aber komischerweise genauso.

„Susn“ ist ein seltsames Stück, kratzig und schwer verständlich und auch nicht besonders gut gemacht, doch wenn man nach Hause geht, betrachtet man die Welt ein ganz kleines bißchen anders. Christine Hohmeyer

Weitere Vorstellungen in Vollads Tanzsaal vom 18.-20. Oktober, 21 Uhr, Schönhauser Allee 177, Prenzlauer Berg