Den Tiger reiten oder ihn erschießen?

■ Diskussion über Gegenstrategien zur Globalisierung mit Joschka Fischer

Berlin (taz) – Joschka Fischer wäre nicht Realpolitiker, würde er die Stimmung im mit 250 ZuhörerInnen überfüllten Saal mißachten. So machte er sich einen der wenigen konkreten Vorschläge zur Zähmung des weltweit operierenden Kapitalismus zu eigen. „Nichts spricht gegen die Besteuerung des Kapitalverkehrs in Europa“, räumte der Fraktionschef der Bundestagsgrünen ein. Doch die Einschränkung kam gleich hinterher. Die neue Steuer zur Behinderung der zunehmenden Finanzspekulationen lasse sich weder in der Bundesrepublik noch in den europäischen Institutionen durchsetzen.

Neben Fischer hatten die Berliner Bündnisgrünen am Dienstag abend Politologieprofessor Elmar Altvater und die Hochschullehrerin Ingrid Kurz-Scherf ins Rathaus Schöneberg geladen. Die Frage lautete: Was kann man der Globalisierung und der Konkurrenz der Staaten auf dem Weltmarkt entgegensetzen?

Sowohl zur Anamnese als auch zur Therapie hatte Marxist Altvater knackige Formeln auf Lager. Den Menschen werde der Boden unter den Füßen weggerissen – und zwar immer schneller. Der Garten hinter dem Haus werde zugunsten einer Hochgeschwindigkeitstrasse der Bahn umgepflügt, Tarifverträge seien nichts mehr wert, Zahnersatz müsse man selbst bezahlen. Eine Ursache: Durch die Computerrevolution beschleunigt strömten täglich 1.400 Milliarden US-Dollar spekulativ um den Globus. Spekulanten und Konzerne investierten dort, wo der Staat bei Privatisierung und Sozialabbau besonders willfährig sei.

„Aber es gibt einen Ausweg“, so Elmar Altvater. Die Staaten müßten das vagabundierende Kapital „entschleunigen“. Eine Steuer auf jede Transaktion werde den Geldhaien zumindest teilweise die Lust am Jonglieren mit dem Kapital nehmen. In eine ähnliche Richtung wirkt die Ökosteuer, die die Produktivität senkt und das Wachstum reduziert.

Diesen kapitalismuskritischen Gedanken setzte Joschka Fischer seine überwindende „Gestaltung“ des Systems entgegen. Wenn die Unternehmen ihren Beschäftigten immer weniger Lohn zahlten und die staatlichen Sozialleistungen abnähmen, müsse man die ArbeitnehmerInnen am „Produktivvermögen der Wirtschaft beteiligen“. Fischer: „Wir alle müssen Kapitalisten werden.“

Elmar Altvater warf dem Obergrünen daraufhin vor, der „Turbokapitalismus“ lasse sich durch diese kleinmütige Verteilung von ein paar Anteilsscheinen nicht demokratisieren. Fischer bekam Zustimmung von Ingrid Kurz- Scherf. Der Einfluß der Beschäftigten und ihre soziale Absicherung durch Firmenanteile seien nicht schlecht, wenn die Beteiligung nicht individualistisch, sondern genossenschaftlich organisiert werde.

In Abgrenzung zum US-amerikanischen und britischen Weg müsse die „Sozialstaatlichkeit“ in Europa unbedingt erhalten werden, waren sich die DiskutantInnen einig. Schon deshalb, weil sonst moderne Formen des Faschismus gesellschaftsfähig würden. Es sei zu überlegen, so Fischer, ob der Staat allen einen Grundbedarf aus steuerfinanzierten Transferzahlungen zubilligen solle. Hannes Koch