Zwischen den Rillen
: Mehr als flüstern und schreien

■ Nicht mimosig, wenig mystisch: Sheryl Crow, Fiona Apple und PJ Harvey

Die Party ist zwar nicht vorbei, aber erwachsener geht es doch zu auf Sheryl Crows zweitem Album. Die lockige Kumpeline ist stärker Person geworden, die Platte heißt denn auch „Sheryl Crow“ und hat immerhin dem Hype um Crows Debüt „Tuesday Night Music Club“ standzuhalten. Um Irrtümer gar nicht erst aufkommen zu lassen – es ist eine exzellentes Album, exquisit produziert. Der „Club“-Nachfolger hat Grooves, den Blues und Rock, bittere Ohrwürmer wie „Home“ oder „Redemption Day“, ein Song auf Crows Auftritte vor US-Soldaten in Bosnien, und WüWus (wütende Wuchtbolzen) wie „If it makes you happy“.

Musikalisch ist viel los auf dieser Platte, die doch nie eklektisch wirkt. Hier eine Reverenz an den Girl Pop der 60er/70er, dann wieder tummelt sich die 34jährige Crow in Joan Jetts Revieren oder probt Twangy Sound und Weepy Lap Steels. „Sheryl Crow“ weiß, was sie sagen will, ist romantisch, mitreißend und – fasten seat belts – verantwortlich, ohne moralisch daherzukommen. Herzschmerzen, „Big guns and small ambitions“.

Crows Neue wurde mit einem Mißklang in die Öffentlichkeit entlassen. Die amerikanische Kaufhauskette Wal-Mart weigert sich, das Album zu vertreiben, weil Crow in „Love is a good thing“ auf die Wal-Mart- Praxis, Waffen an Kinder, Verrückte und Vorbestrafte zu verkaufen, anspielt. (Wal-Mart setzt mehr Platten um als Tower Records.) „Yes, it's hard to make a stand“: Crow, die ihr Leben eigenem Bekunden zufolge Antidepressiva verdankt, kann doch mehr als flüstern und schreien. Die ich noch 1995 für ein unausstehliches Quakmaul hielt, gefällt mir plötzlich außerordentlich – ein Wunder.

Zehn Torch-Songs über die Qualen der Liebe, Hingabe, Zurückbleiben, Drohen, Resümieren, Leiden, nicht dramatisch, schon gar nicht peinlich – das ist „Tidal“ von Fiona Apple. „Pale september / I wear the time like a dress that year / The autumn days swung soft around me / like cotton on my skin“ – ironische Distanz gegenüber solchen Zeilen will sich nicht einstellen. Eine so extreme Privatheit in der Musik kenne ich eigentlich nur von PJ Harvey. Apple: „Für mich gibt es bei Gefühlen, in Liedern, kein Recht oder Unrecht, sondern nur wahr oder falsch. Die Dinge sind sehr viel einfacher, wenn man die Wahrheit ausspricht.“ Klingt wie aus dem Munde einer Veteranin, die alles gesehen und erlebt hat (wofür man ihr am liebsten eins auf den Mund boxen würde), entströmte aber den Rosenlippen einer achtzehnjährigen New Yorkerin. Hohe Wangenknochen, riesige Augen, noch größerer Mund, dunkles Timbre. „Tidal“ ist transparent, aber nicht dünn. Zu Gefühliges wird vom Piano verschnitten, vom Blues aufgesaugt, der Hauch einer Gitarre, eher ein Klopfen als Percussion. Fiona Apples Songs sind zart und „literarisch“, nicht mimosig und mystisch wie die von Tori Amos. „Tidal“ ist weich, meidet aber das Einflüsternde einer Suzanne Vega. Fiona Apple muß nicht schreien wie Alanis Morisette und hat Liz Phairs sexuelle Primärvokabeln nicht nötig. Apple lehnt sich am ehesten bei Diven à la Nina Simone an, wächst jedoch durch „Intellektualismus, wahres Talent und Vision“ (L.A. Times) darüber hinaus. Wann will die Frau mit ihren 18 eigentlich all diese Erfahrungen gemacht haben, und wie und wann hat sie gelernt, dieselben in so vollkommene Formen zu entlassen? Müssen alle Theorien über die Neurophysiologie des Menschen revidiert werden? „The child is gone“, singt Apple. Zwei Wahnvorstellungen der Autorin: 1. Apple ist Strohfrau sowie Deckname für einen alten Sack von Mitte fünfzig, der den Ehrgeiz hat, öffentlich aus sogenannter weiblicher Sicht zu komponieren. 2. Apple ist Fiona Apple, schiebt aber ein Foto ihrer Tochter vor, um den Marktsektor „Elfe“ erfolgreich zu besetzen.

Den Songs von Polly Jean Harvey scheint man immer näher zu kommen, während Harvey sich immer weiter entfernt. „Dance Hall at Louse Point“ ist ein arbeitsteiliges Projekt von Harvey, die Texte und Gesang beisteuert, und John Parish, der Harveys „To Bring You My Love“ koproduzierte und hier für die Kompositionen zuständig ist. Bei aller Liebe und allen Feedbacks doch sparsam arrangiert, leuchtet Harveys opulente Schmerzgloriole diskret aus dem Beziehungskeller. Björk coverte Betty Hutton; Harvey kramt Peggy Lee aus der Kiste mit Nachkriegsware back to the future.

Bleib bei ihr, John! Wehe, du wirst verrückt, Polly Jean! Mit wem tauscht Harvey wohl am Ende die Freundschaftsringe, mit Thalia Zedek von Come oder mit Diamanda Galas? Anke Westphal

Sheryl Crow: „Sheryl Crow“ (Polydor/A&M)

Fiona Apple: „Tidal“ (Sony/ Columbia: Work /Clean Slate)

Polly Jean Harvey & John Parish: „Dance Hall at Louse Point“ (Mercury)